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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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antrifft. Sie ergötzte sich über die schnelle Fortbewe-
    gung, ohne das Stoßen beim Fahren auf einem Landwagen
    oder das Zittern und Schütteln eines Eisenbahnzugs – diese
    Schnelligkeit eines Schlittschuhläufers, der über einen hart-
    gefrorenen See dahinfliegt. Man konnte kaum etwas Grazi-
    öseres sehen als diese elegante, auf den leicht schäumenden
    Wogen mäßig geneigt liegende ›Clorinda‹, wie sie sich mit
    den Wellen hob und senkte. Wahrlich, sie schien mehr Luft
    zu durchschneiden, gleich einem ungeheuren Vogel, den
    seine mächtigen Flügel tragen.
    Dieser im Norden und im Süden durch die großen Hebri-
    den gedeckte, im Osten durch eine Küste geschützte Mee-
    resteil glich fast einem Binnensee, dessen Gewässer der
    Wind noch nicht hatte aufwühlen können.
    Die Yacht segelte in schräger Richtung auf Staffa zu, auf
    diesen großen, seitwärts der Insel Mull vereinzelt aufragen-
    den Felsen, der sich kaum 100 Fuß über das Hochwasser
    erhebt. Man hätte glauben können, daß dieser es war, der
    unaufhörlich seinen Ort wechselte, da er einmal das hohe
    steile Ufer im Westen, dann wieder die wild aufeinander-
    getürmten Steinmassen seiner Ostseite zeigte. Infolge einer
    erklärlichen Gesichtstäuschung schien sich die ganze Masse
    auf einem Zapfen zu drehen, je nach den Winkeln, welche

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    die Fahrtrichtung der ›Clorinda‹ mit den einzelnen Teilen
    des Eilands bildete.
    Trotz der Strömung und des Gegenwinds kam die Yacht
    doch allmählich vorwärts. Wenn sie nach Westen, über die
    äußerste Spitze von Mull hinaussegelte, schüttelte sie das
    Meer ziemlich kräftig, obwohl sie eigentlich nur lustiger auf
    den aus der offenen See sich hinwälzenden Wogen tanzte;
    bei der nächstfolgenden Wendung – oder bei dem nächsten
    ›Schlag‹, wie man die beim Lavieren im Zickzack zurückge-
    legten Einzelstrecken nennt – kam sie wieder in stilles Was-
    ser, das sie sanft wie eine Kinderwiege schaukelte.
    Gegen 11 Uhr war die ›Clorinda‹ weit genug nördlich hi-
    naufgekommen, um nun geradewegs auf Staffa zuzuhalten.
    Die Schoten wurden also gelöst, der Klüverjäger sank herab,
    und der Kapitän traf Vorbereitung, vor Anker zu gehen.
    Einen Hafen besitzt Staffa zwar nicht, es ist jedoch bei
    jeder Windrichtung nicht schwierig, längs der Ostseite, in-
    nerhalb der, durch frühere geologische Vorgänge launen-
    haft daneben verstreuten Felsen – einem wirklichen Schä-
    rengürtel – an das Eiland zu gelangen. Bei ganz schwerem
    Wetter könnte hier freilich ein Schiff von einigermaßen
    großem Tonnengehalt kaum zu bleiben wagen.
    Die ›Clorinda‹ wand sich also zwischen diesem Gür-
    tel von schwarzem Basalt hin; sie folgte gehorsam der ge-
    schickten Führung des Kapitäns und ließ auf der einen Seite
    den Felsen von Bouchaillie liegen, von dem das jetzt noch
    immer niedrige Meer die unteren, zu Bündeln vereinigten
    Schäfte bloßgelegt hatte, und auf der andern Seite, zur Lin-
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    ken, den Weg, der am Ufers hinläuft. Hier ist der beste An-
    kerplatz des Eilands, und hier nahmen auch die Dampfer,
    die Touristen nach Staffa brachten, diese nach Abschluß ih-
    res Spaziergangs zu den Sehenswürdigkeiten der Insel wie-
    der auf.
    Die ›Clorinda‹ lief in eine ganz kleine Bucht, fast am Ein-
    gang der Grotte von Clam Shell ein. Das Obersegel wurde
    herabgelassen, das Großsegel völlig gelöst, und der Anker
    sank rasselnd in den Grund.
    Eine Minute später landeten Miss Campbell und ihre
    Gefährten an den ersten Basaltstufen zur Linken der be-
    rühmten Grotte. Hier befand sich eine mit Geländer verse-
    hene Holztreppe, die vom Ufer bis zum abgerundeten Rü-
    cken der Insel hinaufführt.
    Alle begaben sich darauf zum oberen Plateau.
    Sie waren endlich in Staffa, so abgeschieden von der be-
    wohnten Welt, als ob ein Sturm sie auf die ödeste Insel des
    Stillen Ozeans verschlagen hätte.
    18. KAPITEL
    Staffa
    Wenn Staffa auch nichts weiter ist, als ein Eiland, so hat es
    die Natur wenigstens zum merkwürdigsten im ganzen Ar-
    chipel der Hebriden gestaltet. Dieser große Felsblock von
    länglich-runder Form, einer Meile Länge und einer halben
    Meile Breite, verbirgt im Innern höchst wunderbare Grot-

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    ten basaltischen Ursprungs. Hier strömen ebenso Geologen
    wie Touristen mit gleich lebendigem Interesse zusammen.
    Eigentlich eher zufällig hatten weder Miss Campbell, noch
    die Brüder Melvill Staffa bisher besucht; nur

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