Der Grüne Strahl
›Clorinda‹ ein, ohne jemand ein Wort über die Bestim-
mung der Yacht gesagt zu haben. Lebensmittel, frisches
Fleisch wie Konserven und die unentbehrlichen Getränke,
waren in Eile reichlich herbeigeschafft worden. Übrigens
konnte der Koch der ›Clorinda‹ sich noch nebenbei von
dem Dampfer, der den regelmäßigen Dienst zwischen Oban
und Staffa versieht, mit verschiedenem anderen versorgen.
Mit Tagesanbruch hatte Miss Campbell von einem rei-
zenden koketten Zimmerchen Besitz genommen, das im
Heck der Yacht lag. Die beiden Brüder nahmen jenseits des
Salons die Liegen der ›main cabin‹ ein, die sich im breites-
ten Teil des Schiffes befand. Olivier Sinclair begnügte sich
mit einer kleinen, hinter der zum Salon führenden Treppe
gelegenen Kabine. Zu beiden Seiten des durch den Schaft
des Großmasts durchbrochenen Speisesaals hatten Mrs.
Bess und Patridge, der eine rechts, die andere links, ihre
Matratzenlager, gleich hinter der Küche und hinter der
Koje des Kapitäns. Die Küche, in welcher der Koch gleich
wohnte, lag also etwas weiter nach vorn; noch weiter das
sogenannte Volkslogis mit den Hängematten für die sechs
Matrosen. Nichts fehlte der hübschen, von Ratsey in Cowes
erbauten Yawl. Bei günstigem Wasser und guter Brise hätte
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sie bei allen Regattas des ›Royal Thames Yacht Club‹ eine
ehrenvolle Stelle behauptet.
Es gewährte allen eine wirkliche Freude, als die ›Clo-
rinda‹ ihren Anker gelichtet, und nun mit dem Großsegel,
dem Gaffelsegel, dem Focksegel und dem Klüverjäger den
Wind abfing. Sie neigte sich zierlich zur Seite, ohne daß
ihr mit Kanadafichte gedieltes Deck nur von einem Trop-
fen Wasser benetzt worden wäre, so scharf durchschnitt der
senkrecht konstruierte Vordersteven die leichten, gegen ihn
anlaufenden Wellen.
Die Distanz, die diese beiden kleinen Hebriden, Iona und
Staffa, trennt, ist nur sehr kurz. Bei sehr günstigem Wind
hätten wohl 20 bis 25 Minuten gereicht, sie zu durchmes-
sen, mindestens mit einer Yacht, die, wie die ›Clorinda‹, ihre
8 Seemeilen in der Stunde zurücklegen konnte. Heute hatte
man aber den Wind, wenn auch nur in Form einer leichten
Brise, fast genau von vorn; dabei war das Meer im Fallen,
und so wurde es nötig, die immerhin merkbare Strömung
durch wiederholtes Lavieren zu überwinden, ehe die ›Clo-
rinda‹ auf die Höhe von Staffa gelangen konnte.
Miss Campbell legte darauf keinen besonderen Wert; ihr
war es genug, daß die ›Clorinda‹ mit ihnen dahinsegelte.
1 Stunde später verschwamm Iona im Morgennebel, und
mit der Insel das Bild jenes Störenfrieds, den Helena am
liebsten bis auf den Namen vergessen hätte.
So sagte sie auch freimütig zu ihren Onkeln:
»Nun, hab’ ich nicht recht, Papa Sam?«
»Völlig recht, meine liebe Helena.«
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»Und stimmt Mama nicht auch damit überein?«
»Vollkommen!«
»Nun denn«, fuhr sie fort, die Arme um beide Männer
schlingend, »so einigen wir uns alle in der Erkenntnis, daß
zwei herzliebe Onkel, die mir einen solchen Ehemann an-
hängen wollten, damit keine besonders glückliche Idee ge-
habt haben!«
Beide Männer verneigten sich zustimmend.
Die überaus angenehme Seefahrt hatte nur den einen
Fehler, zu kurz zu sein. Was hinderte aber, sie auszudeh-
nen, die Yawl dem Grünen Strahl entgegensegeln zu lassen,
und ihn mitten im Atlantischen Ozean aufzusuchen? Doch
nein! Laut Übereinkunft begab man sich nach Staffa, und
John Olduck traf seine Maßnahmen, dieses berühmteste
Eiland der kleinen Hebriden mit dem Wiederansteigen der
Flut zu erreichen.
Gegen 8 Uhr wurde im Speisesaal der ›Clorinda‹ das
erste, aus Tee, Butter und Sandwichs bestehende Frühstück
aufgetragen.
In rosigster Laune taten alle Tischgenossen ihm volle
Ehre an, und vergaßen dabei schon ganz die einladende Ta-
fel der Herberge in Iona. Diese Undankbaren!
Als Miss Campbell aufs Deck zurückkam, hatte die Yacht
die Fahrtrichtung geändert. Sie näherte sich jetzt dem schö-
nen, auf den Riffen von Skerryvore errichteten Leuchtturm,
dessen Feuer erster Ordnung 150 Fuß über dem Meeres-
niveau glüht. Und doch ›schnitt sie die Feder ab‹, um die
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schottische Bezeichnung für die Schnelligkeit ihrer Fahrt
zu gebrauchen.
Halb ausgestreckt lag Miss Campbell auf dem Heck
der Yacht auf einem jener großen Kissen aus starker Lein-
wand, wie man sie auf allen englischen Vergnügungsyach-
ten
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