Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
ihres Prätendenten für im-
    mer erschüttert. Nichts konnte ihn wieder zu Miss Camp-
    bell zurückführen; sie mußten schon, wohl oder übel, auf
    die Erfüllung eines unmöglich gewordenen Projekts ver-
    zichten.
    »Nun, glücklicherweise«, flüsterte Bruder Sam Bruder
    Sib zu, den er etwas auf die Seite genommen, »sind übereilt
    gegebene Versprechen keine eisernen Handschellen!«
    Das bedeutete mit anderen Worten, daß man unter we-
    sentlich veränderten Umständen unmöglich an ein unter
    anderen Voraussetzungen gegebenes Wort gebunden sein
    kann, und mit deutlicher Geste hatte Bruder Sib auch seine
    Zustimmung gegeben, daß hier jenes schottische Sprich-
    wort volle Anwendung fände.
    Eben als man sich im unteren Saal von ›Duncans Har-
    nisch‹ verabschieden wollte, erklärte Miss Campbell:
    »Wir reisen morgen ab, ich bleibe keinen Tag länger
    hier!«
    »Völlig einverstanden, meine liebe Helena«, antwortete
    Bruder Sam, »doch wohin werden wir gehen?«
    »Dahin, wo wir sicher sind, diesen Mr. Ursiclos nicht
    wieder anzutreffen. Es ist also wichtig, niemand erfahren
    zu lassen, sowohl daß wir von Iona weg, noch auch wohin
    wir gehen.«
    »Ganz recht«, meinte Bruder Sib; »aber, liebe Tochter,
    wie sollen wir abreisen und wohin uns wenden?«
    »O«, rief Miss Campbell, »wir sollten nicht mit Tagesan-
    bruch ein Mittel finden, diese Insel zu verlassen? Das Ufer
    — 213 —
    Schottlands böte uns keinen unbewohnten, noch lieber un-
    bewohnbaren Punkt, wo wir unserer Beobachtung in Frie-
    den nachgehen könnten?«
    Die beiden Brüder wenigstens hätten auf diese doppelte,
    übrigens in einem Ton gestellte Frage, der keine Ausflucht
    gestattete, nicht zu antworten vermocht. Zu ihrem Glück
    war Olivier Sinclair noch bei der Hand.
    »Miss Campbell«, sagte er, »das läßt sich alles arrangie-
    ren und zwar wie folgt: nicht weit von hier bietet sich eine
    für unsere Beobachtung höchst geeignete Insel, eigentlich
    nur ein Eiland, und da wird kein Störenfried uns nahen.«
    »Welche meinen Sie?«
    »Nun Staffa, das Sie höchstens 2 Meilen im Norden von
    Iona sehen können.«
    »Ist es möglich, dort zu leben und dahin zu gelangen?«
    fragte Miss Campbell.
    »Gewiß«, versicherte Olivier Sinclair, »und noch dazu
    ganz leicht. Im Hafen von Iona hab’ ich eine jener Yachten
    gesehen, die immer bereit sind, in See zu stechen, eine Yacht,
    wie man sie während der schönen Jahreszeit ja in allen eng-
    lischen Häfen findet. Ihr Kapitän wie die Mannschaft ste-
    hen dem ersten besten Touristen zur Verfügung, der ihre
    Dienste in Anspruch nimmt, um in den Kanal, die Nord-
    see oder nach Irland zu fahren. Nun, wer hindert uns, diese
    Yacht zu heuern, darauf, da Staffa selbst keine Hilfsmittel
    bietet, für 14 Tage Proviant einzuschiffen und morgen mit
    dem ersten Tagesgrauen davonzusegeln?«
    »Mr. Sinclair«, antwortete Miss Campbell, »wir werden
    — 214 —
    morgen heimlich diese Insel verlassen haben, und seien Sie
    überzeugt, daß ich mich Ihnen zu großem Dank verpflich-
    tet fühlen werde.«
    »Morgen, im Lauf des Vormittags, vorausgesetzt daß sich
    nur eine leichte Morgenbrise erhebt, werden wir schon auf
    Staffa sein«, versicherte Olivier Sinclair, »und abgesehen
    von dem gewöhnlichen Besuch der Touristen, der zweimal
    in der Woche etwa 1 Stunde dauert, werden wir dort von
    keiner lebenden Seele gestört werden.«
    Nach gewöhnlicher Sitte erklangen sofort wieder alle
    Rufnamen von Mrs. Bess.
    »Bet!«
    »Beth!«
    »Bess!«
    »Betsey!«
    »Betty!«
    Mrs. Bess erschien auf der Stelle.
    »Wir reisen morgen ab«, sagte Bruder Sam.
    »Morgen ganz früh!« fügte Bruder Sib hinzu.
    Ohne sich darüber eine weitere Frage zu stellen, beschäf-
    tigten sich Mrs. Bess und Patridge gleich darauf mit den
    Vorbereitungen zum Aufbruch.
    Inzwischen begab Olivier Sinclair sich zum Hafen und
    verhandelte dort mit John Olduck.
    John Olduck war der Kapitän der ›Clorinda‹, ein richtiger
    Seemann, bekleidet mit der traditionellen Mütze mit Gold-
    borte, einer Art Jacke mit Metallknöpfen und mit Beinklei-
    dern aus blauem Tuch. Nach Abschluß des Vertrags ging er

— 215 —
    sofort daran, mit seinen sechs Leuten alles zum Auslaufen
    klarzumachen. Diese sechs Matrosen waren eigentlich Fi-
    scher, versahen aber während des Sommers den Dienst auf
    diesen Yachten so vortrefflich, daß sie allen Seeleuten der
    Welt als Muster gelten können.
    Um 6 Uhr morgens schifften sich die neuen Passagiere
    der

Weitere Kostenlose Bücher