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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Gemütsverfassung befand.
    So plaudernd, wanderten die neuen Gäste Staffas über
    die unebene Oberfläche der Insel, auf der da und dort klei-
    nere grüne Erhebungen emporragten. Am heutigen Tag traf
    kein Schiff der Dampfergesellschaft von Oban zum Besuch
    der kleinen Hebriden ein; Miss Campbell und ihre Gefähr-
    ten hatten also keine Störung durch lärmende Touristen
    zu befürchten. Sie waren allein auf dem öden, weltverlas-
    senen Felsen. Einige Pferde von kleinem Schlag und ein-
    zelne schwarze Kühe weideten auf der mageren Grasnarbe
    des Plateaus, dessen dünne Humusdecke an verschiedenen
    Stellen von lavaähnlichen Massen durchbrochen war. Ei-
    nen Schäfer zu ihrer Bewachung gab es nicht, und wenn die
    vierfüßige Inselherde überhaupt überwacht wurde, dann
    konnte das nur aus der Ferne, vielleicht von Iona, wenn
    nicht gar von der 15 Meilen weiter östlich gelegenen Küste
    von Mull aus der Fall sein.
    Eine Wohnstätte zeigte sich nirgends; nur die Reste einer
    Hütte, welche die zu den Zeiten der Tagundnachtgleichen
    im März und September wütenden Stürme zerstört hatten.
    In der Tat erscheinen 12 Pfund Sterling als recht anständige
    Pacht für einige Acres Wiesen, deren Gras abgenagt ist wie
    bis auf die Kettfäden abgenützter Samt.
    Die Besichtigung der Inseloberfläche war also bald be-
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    endet, und man beschäftigte sich nun ausschließlich mit der
    Beobachtung des Horizonts.
    Es war deutlich genug zu erkennen, daß man an diesem
    Abend vom Untergang der Sonne nichts erwarten durfte.
    Infolge der Veränderlichkeit, welche die Septembertage
    kennzeichnet, hatte sich der am Vorabend ganz klare Him-
    mel heute wieder mit Dünsten bedeckt. Gegen 6 Uhr abends
    zogen einige rötliche Wolken, wie sie nahe bevorstehenden
    Störungen der Atmosphäre vorherzugehen pflegen, über
    den Gesichtskreis im Westen. Die Brüder Melvill machten
    auch zu ihrem großen Leidwesen die Beobachtung, daß das
    Aneroidbarometer der ›Clorinda‹ nach ›Veränderlich‹ zu-
    rückging und sogar noch unter diesen Stand hinausgehen
    zu wollen schien.
    Nachdem die Sonne hinter einer, durch den Wellen-
    schlag auf hoher See gezackten Linie versunken war, kehr-
    ten alle an Bord zurück. Ruhig verstrich die Nacht in der
    kleinen, durch die Ausläufer der Clam-Shell-Grotte gebil-
    deten Ausbuchtung.
    Am folgenden Morgen, dem 7. September, beschloß
    man, das Eiland erst sorgfältiger in Augenschein zu neh-
    men. Nach Besichtigung des oberen Teils galt es nun den
    unterirdischen Teil davon zu untersuchen. Sollte man die
    Zeit nicht bestens ausnützen, da ein wirkliches – Aristobu-
    los Ursiclos nicht zur Last zu legendes – Mißgeschick bis-
    her jede Beobachtung des ersehnten Phänomens vereitelt
    hatte? Übrigens hat niemand Ursache, einen Besuch der
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    Höhlen zu bereuen, die dieses verlorene Eiland des Archi-
    pels der Hebriden berühmt gemacht haben.
    Der heutige Tag wurde dazu verwendet, den ›Keller‹ von
    Clam Shell zu untersuchen, vor dem die Yacht verankert
    lag. Der Koch traf, auf Veranlassung Olivier Sinclairs, so-
    gar Vorbereitungen, das zweite Frühstück darin zu servie-
    ren. Hier konnten sich die Tischgäste fast in den unteren
    Raum eines Schiffs versetzt wähnen. Wirklich ähneln die 40
    bis 50 Fuß langen Prismen, welche die Rippen der Wölbung
    bilden, ungemein dem inneren Bau eines Fahrzeugs.
    Diese an die 30 Fuß hohe, etwa 15 breite und 100 tiefe
    Höhle, bietet einen sehr leichten Zugang. Offen nur nach
    Osten, dadurch geschützt gegen die schlimmsten Winde,
    wird sie auch nicht von den fürchterlichen Wogen heimge-
    sucht, die bei stürmischem Wetter in die anderen Höhlen
    der Insel wälzen. Dafür erklärt man sie auch für die weniger
    sehenswerte Grotte Staffas.
    Immerhin erregt die Anordnung ihrer Basaltbögen, die
    mehr auf die Hand des Menschen, als auf ein Werk der Na-
    tur hinweist, die ungeteilte Bewunderung des Beschauers.
    Miss Campbell war ganz entzückt von diesem Besuch.
    Olivier Sinclair erklärte ihr liebenswürdig die Schönhei-
    ten von Clam Shell, ohne Zweifel mit weniger wissenschaft-
    lichem Bombast als Aristobulos Ursiclos, gewiß aber mit
    mehr künstlerischem Feingefühl.
    »Ich möchte wohl ein Andenken an unseren Besuch von
    Clam Shell besitzen«, sagte Miss Campbell.
    »Nichts leichter als das!« antwortete Olivier Sinclair.

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    — 231 —
    Mit wenigen, sicheren Bleistiftstrichen entwarf er eine
    Skizze dieser Grotte, gesehen von

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