Der Grüne Strahl
Olivier Sinclair
kannte dessen Wunder. Es verstand sich also von selbst, daß
ihm das Amt als Führer der Gesellschaft zufiel auf der Insel,
die allen für einige Tage als Aufenthaltsort dienen sollte.
Dieser Felsen verdankt seine Entstehung ausschließ-
lich der Kristallisation einer ungeheuren Basaltmasse, die
in der ersten Bildungszeit der Erdkruste hier erstarrte. Die-
ser Zeitpunkt aber liegt sehr weit zurück. Nach den Unter-
suchungen von Helmholtz – die völlig übereinstimmen mit
den Beobachtungen Bischofs, über die Erkaltung des Ba-
salts, der nur bei einer Temperatur von 2.000 Grad schmel-
zen konnte – hat es zu dessen vollständiger Erkaltung eines
Zeitraums von mindestens 350 Millionen Jahren bedurft.
Damit wäre die Konsolidierung unserer Erdkugel, nachdem
sie einen gasförmigen und dann einen feurig-flüssigen Zu-
stand durchgemacht hatte, in eine fabelhaft entlegene Epo-
che zurückgeführt.
Wenn Aristobulos Ursiclos hier gewesen wäre, hätte er
reichliche Veranlassung gefunden zu so mancher schönen
Abhandlung über die Erscheinungen der geologischen Ge-
schichte. Doch er hielt sich fern; Miss Campbell dachte
kaum an ihn, und es geschah, wie Bruder Sam zu Bruder
Sib gesagt:
»Lassen wir die Fliege auf dem Zucker ruhig sitzen!«
Ein schottisches Sprichwort, mit dem übrigens ziemlich
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durchsichtigen Sinn: »Wecken wir die Katze nicht, wenn sie
schläft«, wie die Franzosen sagen.
Jetzt sahen sich alle an und in der Nachbarschaft um.
»Zuerst«, begann Olivier Sinclair, »empfiehlt es sich wohl,
von unserem neuen Gebiet förmlich Besitz zu ergreifen.«
»Ohne zu vergessen, aus welchem Grund wir überhaupt
hierher gekommen sind«, bemerkte Miss Campbell lächelnd.
»Sicherlich, ohne das zu vergessen!« erwiderte Olivier
Sinclair. »Wir wollen also einen geeigneten Beobachtungs-
punkt aufsuchen und nachsehen, welcher Meereshorizont
die Westseite unserer Insel begrenzt.«
»Ich stimme Ihnen bei«, antwortete Miss Campbell, »nur
ist das Wetter heute etwas dunstig, und ich glaube nicht, daß
das Versinken der Sonne unter günstigen Umständen statt-
finden wird.«
»Dann werden wir warten, Miss Campbell, wenn’s not
tut, warten bis zum schlechten Wetter der Tagundnachtglei-
che.«
»Ja, ja, wir warten«, bestätigten die Brüder Melvill, »so
lange bis Helena bestimmen wird, wieder abzureisen.«
»Ei, uns drängt ja nichts, liebe Onkel«, antwortete das
junge Mädchen, das sich seit der Abfahrt von Iona ganz
glücklich fühlte, »nein, es drängt uns nichts, und ich finde
dieses Inselchen ganz entzückend. Eine Villa, die man mit-
ten in dieses, ihre Oberfläche gleich einem feinen Teppich
verhüllende Wiesenland hinein erbaute, würde ganz be-
haglich zu bewohnen sein, selbst wenn die Stürme, die uns
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Amerika mit so freigebigen Händen schickt, sich an Staffas
Grundfelsen brechen!«
»Hm!« meinte Onkel Sib, »hier an dieser äußersten, nach
dem Ozean zu liegenden Grenze müssen sie doch furchtbar
wüten!«
»Das ist auch der Fall«, erklärte Olivier Sinclair. »Staffa
liegt allen aus der offenen See kommenden Winden preis-
gegeben und bietet nur am östlichen Gestade, dort wo un-
sere ›Clorinda‹ vor Anker gegangen ist, einigen Schutz. Die
schlechte Jahreszeit dauert übrigens in dieser Gegend des
Atlantiks volle 9 Monate an.«
»Nun, da erklärt es sich ja gleich«, meinte Onkel Sam,
»warum man hier keinen einzigen Baum sieht. Auf der
Hochfläche muß offenbar jedes Erzeugnis der Pflanzenwelt,
wenn es den Erdboden nur um wenige Fuß überragt, unver-
meidlich zugrundegehen.«
»Schön, aber 2 bis 3 Sommermonate auf diesem Eiland
zuzubringen, das lohnte sich wohl nicht der Mühe?« rief
Miss Campbell. »Ihr müßtet Staffa unbedingt erwerben,
liebe Onkel, wenn Staffa überhaupt käuflich ist.«
Die Brüder Sam und Sib bewegten schon die Hand nach
der Tasche, als wollten sie das Kaufobjekt bezahlen – diese
beiden Onkel ohnegleichen, die selbst der tollsten Laune ih-
rer Nichte nachgegeben hätten.
»Wem gehört denn eigentlich Staffa?« fragte Bruder Sib.
»Der Familie der MacDonald«, antwortete Olivier Sin-
clair. »Sie verpachten es für 12 Pfund Sterling jährlich, aber
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ich glaube nicht, daß es ihnen um irgendeinen Preis feil
wäre.«
»Das ist schade!« sagte Miss Campbell, die, schon von
Natur leicht zu begeistern, sich jetzt in dazu besonders nei-
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