Der Grüne Strahl
dem Felsen aus, der am
Ende der großen Basalttreppe emporragt. Die Vorderöff-
nung der Grotte, gleichsam das Bild eines riesigen Seesäu-
getiers, dessen Skelett ihre Wände darstellen, die leichte
nach dem Gipfel des Eilands hinaufführende Treppe, das so
ruhige und überraschend klare Wasser am Eingang, unter
dem man den gewaltigen Basaltunterbau schimmern sieht,
alles entstand mit großer Kunstfertigkeit sehr schnell auf
einer Seite von Helenas Album.
Darunter setzte der Maler die Worte:
»Miss Campbell gewidmet von Olivier Sinclair.
Staffa, den 7. September 1881.«
Nach eingenommenem Frühstück ließ Kapitän John
Olduck das größte der beiden Boote der ›Clorinda‹ klar-
machen; seine Passagiere nahmen darin Platz und bega-
ben sich, rund um die pittoreske Insel, nach der ›Grotte des
Schiffes‹, so genannt, weil das Meer deren Grund im Innern
ganz bedeckt und man sie trockenen Fußes überhaupt nicht
besuchen kann.
Diese Grotte liegt im südwestlichen Teil des Eilands. Bei
einigermaßen starkem Seegang wäre es höchst unklug, in
sie einzudringen, denn der Wogenschlag darin ist sehr hef-
tig; an jenem Tag jedoch hatte, trotz des ziemlich bedroh-
lichen Aussehens des Himmels, der Wind noch nicht aufge-
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frischt, und ein Besuch der Höhle war mit keinerlei Gefahr
verbunden.
In dem Augenblick, wo das Boot der ›Clorinda‹ vor der
Mündung der tiefen Höhle anhielt, ging der von Touristen
besetzte Dampfer von Oban an der Insel vor Anker. Glück-
licherweise brachte dieser Zeitraum von 2 Stunden, wäh-
rend welcher Staffa sozusagen den Fahrgästen der ›Pio-
neer‹ gehört, für Miss Campbell und die anderen keinerlei
Belästigung mit sich. Sie blieben in der Grotte des Schif-
fes unbemerkt, während die Fremdlinge ihre reglementmä-
ßige Promenade, die sich nur auf die Fingalshöhle und die
Oberfläche des Eilands erstreckt, ausführten. Sie hatten also
keine Gelegenheit, mit diesem etwas geräuschvoll auftre-
tenden Häuflein in Berührung zu kommen – ein Umstand,
über den sie sich aus mehrfachen Gründen beglückwünsch-
ten. Warum sollte zum Beispiel Aristobulos Ursiclos nach
dem plötzlichen Verschwinden der kleinen Gesellschaft, als
deren Mitglied er sich doch betrachtete, nicht den Iona re-
gelmäßig anlaufenden Dampfer benützt haben, um nach
Oban zurückzukehren? – Ein Zusammentreffen mit ihm
wollte man aber auf jeden Fall vermeiden.
Doch wie dem auch sein mochte, ob der ausgestoßene
Prätendent sich unter den Touristen des 7. September be-
fand oder nicht, jedenfalls war nach der Wiederabfahrt des
Schiffs niemand hier zurückgeblieben. Als Miss Campbell,
die Brüder Melvill und Olivier Sinclair wieder herauska-
men aus dem langen Schlauch, aus dem ausgangslosen Tun-
nel, der fast künstlich in eine Basaltschicht getrieben zu sein
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scheint, fanden sie wieder die Ruhe vor, die auf Staffa, die-
sem an der Grenze des Atlantischen Ozeans verlorenen Ei-
land, gewöhnlich herrscht.
Man kennt eine gewisse Anzahl berühmter unterirdi-
scher Höhlen an sehr verschiedenen Stellen der Erde, aber
meist innerhalb der Gebiete mit vulkanischer Aktivität, alle
unterscheiden sich durch ihren Ursprung, der entweder
neptunischer oder plutonischer Art ist.
Von diesen Aushöhlungen sind nämlich die einen ent-
standen durch unterirdische Gewässer, die im Lauf der Jahr-
tausende sogar harte Granitmassen annagen, auflösen und
wegführen, bis an deren Stelle oft gewaltige leere Räume ge-
treten sind; dahin gehören die Grotten von Crozen in der
Bretagne, die von Bonifacio auf Korsika, von Morghatten in
Norwegen, von Saint Michel in Gibraltar, von Saratchell am
Ufer der Insel Wight und von Tourane in dem steil abfallen-
den Marmorgestade von Cochinchina.
Die anderen, von ganz anderem Ursprung, verdanken
ihre Bildung dem durch Erkaltung früher feurig-flüssiger
Gesteinsmassen bedingten Zurückweichen von Granit-
oder Basaltwänden, und diese bieten in ihrer Gliederung
alle Spuren gewaltsamer Vorgänge, die den Grotten neptu-
nischen Ursprungs völlig fehlen.
Treu ihren Prinzipien, hat die Natur bei den einen die
Wirkungen der Kraft, bei den anderen die der Zeit benützt.
Zu den Aushöhlungen, deren Baumaterial einst durch
das Urfeuer geologischer Epochen geschmolzen erhalten
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wurde, gehört die berühmte Fingalshöhle – ›Fingals Grotte‹,
wie ihre höchst prosaische englische
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