Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
vernommen werden? Es klang ringsum wie un-
    aufhörliches Donnern von Wind und Wogen, das sich in
    der Grotte fing. Weder die Stimme, noch der Blick wären
    imstande gewesen hindurchzudringen.
    »Vielleicht ist Miss Campbell überhaupt gar nicht hier«,
    sagte Bruder Sam, der sich zur Selbstberuhigung an diese
    Hoffnung klammerte.
    »Wo sollte sie denn sein?« fragte Bruder Sib.
    »Ja, wo sollte sie denn sein?« rief Olivier Sinclair. »Hab’
    ich sie nicht vergebens auf dem Plateau der Insel, unter den
    Felsen des Ufers und überall gesucht? Würde sie nicht zu
    uns zurückgekehrt sein, wenn ihr das möglich wäre! – Sie
    ist hier – kann nur hier sein!«
    Man erinnerte sich jetzt auch des wiederholt ausgespro-
    chenen, enthusiastischen und von Unerschrockenheit zeu-
    genden Wunsches des jungen Mädchens, in der Fingals-

    — 252 —
    — 253 —
    höhle einem Sturm beizuwohnen. Hatte sie also vergessen,
    daß das Meer diese unter solchen Verhältnissen oft bis zur
    Decke anfüllt und zu einem Gefängnis umwandelt?
    Was blieb jetzt zu versuchen übrig, um zu ihr zu gelan-
    gen und sie zu retten?
    Unter der Gewalt des Orkans, der diesen Teil des Eilands
    mit mächtiger Geißel traf, erhoben sich die Wogen zuweilen
    schon bis zum Gipfel der Wölbung. Dort brachen sie sich
    mit betäubendem Krachen. Die von dem Hindernis gestau-
    ten Wassermassen stürzten dann, wie die Katarakte eines
    Niagara, in schäumenden Wirbeln hernieder; der von der
    hohlen See draußen bewegte untere Teil der Wellen aber
    stürmte in dem Innenraum weiter mit dem Brausen eines
    Bergstroms, dessen Wehr plötzlich seiner Wucht nachgab.
    Erst ganz im Hintergrund der Grotte brach sich das Meer
    als siedender Strudel an der Felsenwand.
    An welcher Stelle hätte Miss Campbell nun eine Zu-
    flucht finden können, die nicht von den Wellen erreicht
    worden wäre? Das Kopfende der Grotte gerade war ihrem
    Anstürmen direkt ausgesetzt, und beim Hinwogen ebenso
    wie beim Rückfließen mußte das Wasser die Galerie in ei-
    ner Weise überfluten, daß niemand sich darauf hätte halten
    können.
    Und doch versuchte man wieder sich gegen den Glau-
    ben zu wehren, daß das unerschrockene junge Mädchen
    überhaupt hier war. Wie hätte sie in dieser Sackgasse dem
    Wogenschwall des wütenden Meeres widerstehen können?
    Mußte nicht ihr verstümmelter, zerrissener Körper, vom
    — 254 —
    Strudel gepackt, schon wieder nach außen geschleudert
    worden sein? Könnte sie nicht die Strömung bei der jetzt
    steigenden Flut schon längs des Uferdamms und an den
    Riffen bei Clam Shell vorbeigeschwemmt haben?
    »Helena! Helena!«
    Immer und immer wieder riefen sie diesen Namen durch
    das tolle Getöse von Wind und Wellen.
    Kein Ruf antwortete ihnen und konnte ihnen antwor-
    ten.»Nein, nein, sie ist nicht in dieser Höhle!« wiederholten
    die Brüder Melvill in ihrer Verzweiflung.
    »Sie ist doch darin!« versicherte Olivier Sinclair.
    Wie zur Bekräftigung seiner Worte wies er da auf ein
    Stück Stoff, das eben eine rückstauende Woge auf eine der
    Basaltstufen warf.
    Olivier Sinclair stürzte darauf zu.
    Es war der ›Snod‹, das schottische Band, das Miss Camp-
    bell stets in den Haaren zu tragen pflegte.
    Konnte es nun noch einen Zweifel geben?
    Und doch, wenn dieses Band ihr entrissen werden
    konnte, war es dann möglich, daß Miss Campbell bei dem-
    selben furchtbaren Wellenschlag doch nicht gleichzeitig
    an die Felsenwand gedrückt und schwer verletzt worden
    wäre?
    »Ich werde bald Gewißheit haben!« rief Olivier Sinclair.
    Unter Benützung eines Moments, wo das rückfließende
    Wasser die Galerie halb frei ließ, ergriff er die erste lange Ei-
    senstange des Geländers; da stürmte aber schon eine neue,
    — 255 —
    riesigen Woge auf dieselbe Stelle ein und drückte ihn auf
    den Treppenabsatz nieder.
    Wenn Patridge sich nicht unter Lebensgefahr auf ihn ge-
    worfen und den jungen Mann zurückhalten hätte, wäre Oli-
    vier Sinclair unweigerlich bis zur letzten Stufe hinabgeglit-
    ten und das Meer hätte ihn mit fortgerissen, ohne daß es
    möglich gewesen wäre, ihm Hilfe zu bringen.
    Olivier Sinclair hatte sich erhoben, sein Entschluß, in die
    Grotte einzudringen, war keineswegs erschüttert.
    »Miss Campbell ist da drinnen!« – wiederholte er, »da
    ihr Körper nicht ebenso herausgetragen worden ist, wie die-
    ses Stückchen Band. Es ist also möglich, daß sie in irgendei-
    ner Wandvertiefung Schutz gefunden hat. Ihre Kräfte aber
    werden sie

Weitere Kostenlose Bücher