Der Grüne Strahl
Breite
phosphoreszierende Flächen leuchteten dabei wie durch
eine Art elektrischer Ausstrahlung, die sich an den Winkeln
des Basalts brach, die Kanten der Prismen erhellte und ei-
nen ungewissen Dämmerschein zurückließ.
Bei dem kurz andauernden Aufleuchten dieser Licht-
blitze wandte sich Olivier Sinclair nach Miss Campbell um.
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Er schaute ihr mit einer Erregung ins Gesicht, die nicht al-
lein durch die Gefahr hervorgerufen wurde.
Miss Campbell lächelte freudig bei der Erhabenheit des
Schauspiels – bei dem Sturm in dieser Höhle.
Da brandete eine unermeßliche Woge bis zur Vertiefung
von Fingals Armstuhl hinauf. Olivier Sinclair glaubte, daß
er und sie davon aus ihrem Schlupfwinkel herausgerissen
werden könnten.
Er umschlang das junge Mädchen mit den Armen, gleich
einer Beute, die das Meer ihm entreißen wollte.
»Olivier! Olivier!« rief Miss Campbell voller Schrecken,
den sie nicht beherrschen konnte.
»Fürchten Sie nichts, Helena«, antwortete Olivier Sin-
clair. »Ich werde Sie schützen, Helena . . . ich . . .«
Er sagte es, er wollte sie verteidigen und schützen! Doch
wie? Wie konnte er sie der Wut der Wellen entziehen, wenn
diese noch mehr zunahmen, wenn das Wasser noch immer
höher anstieg, wenn auch dieser letzte Zufluchtsort unhalt-
bar wurde? Wo würde er eine Stelle finden, die nicht von
dem wütend erregten Meer erreicht wurde? Alle diese Mög-
lichkeiten drängten sich ihm in all ihrer Schrecklichkeit vor
Augen.
Vor allen Dingen kaltes Blut! Olivier Sinclair gelobte
sich, wenigstens seiner selbst Herr zu bleiben.
Er mußte das um so mehr, da dem jungen Mädchen,
wenn auch nicht die moralische, doch die physische Kraft
bald genug ausgehen konnte. Erschöpft von zu langem
Kampf, mußte jeden Augenblick die unumgängliche Reak-
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tion in ihr eintreten. Olivier Sinclair fühlte, wie sie schon
allmählich schwächer wurde. Er wollte sie beruhigen, ob-
gleich ihm selbst jede Hoffnung mehr und mehr schwand.
»Helena . . . meine liebe Helena!« flüsterte er, »bei meiner
Rückkehr nach Oban . . . hab’ ich es gehört . . . daß Sie . . . daß
ich Ihnen meine Rettung aus dem Strudel des Corryvrekan
zu danken habe.«
»Olivier! . . . Sie wußten es?« antwortete Miss Campbell
mit fast erstickter Stimme.
»Ja . . . und heute werde ich es Ihnen entgelten können . . .
ich rette Sie aus der Fingalshöhle.«
Wie konnte Olivier Sinclair von Heil und Rettung zu
sprechen wagen, jetzt wo sich schon die Wassermasse am
Fuß ihres Zufluchtsorts brach! Es gelang ihm nur sehr un-
vollkommen, das junge Mädchen vor ihrem Ungestüm zu
bewahren. Zwei- oder dreimal wäre er fast mit weggezerrt
worden . . . und wenn er noch Widerstand leistete, so geschah
das mit wirklich übermenschlicher Anstrengung, weil er
Miss Campbells Arme wie um seine Taille geknüpft fühlte
und begriff, daß das Meer sie mit ihm fortspülen würde.
Es mochte gegen 9 Uhr 30 abends sein. Der Sturm hatte
zu dieser Zeit seine höchste Intensität erreicht. Das stei-
gende Wasser stürzte sich mit der Wut einer Sintflut in die
Fingalshöhle. Sein Anprall an den Hintergrund und die Sei-
tenwände erzeugte ein betäubendes Krachen, und dessen
Gewalt war so groß, daß von den Wänden losgerissene Ba-
saltstücke herabstürzten und dunkle Löcher in den phos-
phoreszierenden Schaum schlugen.
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Würden unter diesem Angriff nicht gar die Basaltpfeiler
Stein für Stein in den Abgrund versinken?
Olivier Sinclair konnte alles befürchten. Auch er fühlte
sich schon von einer unüberwindlichen Empfindungslosig-
keit befallen, gegen die er vergeblich ankämpfte. Das kam
wohl auch daher, daß es hier manchmal an Luft fehlte, und
wenn sie mit den Wogen in vollen Strömen eindrang, schien
das Wasser sie doch gleich wieder aufzusaugen, wenn der
Rückstrom sie mit nach draußen führte.
Völlig erschöpft und kraftlos, war Miss Campbell einer
Ohnmacht nah.
»Olivier! . . . Olivier!« murmelte sie und sank in seinen
Armen zusammen.
Olivier Sinclair hatte sich mit dem jungen Mädchen so
tief wie möglich in den Hintergrund der kleinen Steinhöhle
gedrängt. Er fühlte, daß sie kalt, scheinbar leblos war. Er
wollte sie erwärmen, wollte ihr alle Lebenskraft einflößen,
die ihm noch übriggeblieben war. Schon rollten ihm aber
die Wellen bis zu halber Körperhöhe empor, und wenn er
jetzt das Bewußtsein verlor, war es um beide
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