Der Grüne Strahl
abschließt.
Darunter herrschte ein tönendes Schweigen – wenn
man diese Worte in Verbindung setzen darf – das eigen-
artige Schweigen aller tiefen Aushöhlungen der Erde, das
die Besucher auch hier nicht zu unterbrechen wagten. Nur
der Wind allein strich hindurch in langgezogenen Akkor-
den, die eine melancholische Reihenfolge einmal anschwel-
lender und dann halb ersterbender Septimen, wie die Saiten
einer Äolsharfe, erklingen lassen. Ist es nicht dieser wun-
derbare Effekt, von dem der Name ›An-Na-Vine‹, das ist die
harmonische Grotte, hergeleitet ist, wie diese Höhle in der
Sprache der alten Kelten genannt wurde?
»Und welcher Name könnte wohl passender erscheinen«,
sagte Olivier Sinclair, »da Fingal der Vater Ossians war, des-
sen Genius es gelang, Poesie und Musik zu einer Kunst zu
verschmelzen?«
»Ohne Zweifel«, stimmte ihm Bruder Sam bei; »doch
wie Ossian selbst sang: ›Wann, wann tönt ein Barde mir,
preist der tapferen Toten Lob? Wann umfängt diese Freude
mich.‹«
»Ja«, fügte Bruder Sib hinzu. »›Keine Stimme, kein Klang
ist in Cona, dahin ist der Fürst und der Bard’; auf den Höh’n
wohnt Ruhm nicht mehr!‹«
Die ganze Tiefe der Höhle wird auf ungefähr 150 Fuß ge-
schätzt. Im Hintergrund des Kirchenschiffs erscheint eine
Art Orgelchor, auf dem sich eine gewisse Anzahl Säulen von
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geringerem Durchmesser als am Eingang, dafür aber in ta-
delloser Reinheit der Linien erheben.
Hier konnten Olivier Sinclair, Miss Campbell und deren
beiden Onkel einen Augenblick verweilen.
Von diesem Punkt aus bot sich eine bezaubernde, nach
dem freien Himmel offene Perspektive, das vom Licht
durchdrungene Wasser ließ die Anordnung des unterseei-
schen Grunds erkennen, der aus Querschnitten von vier-
bis siebenseitigen Säulenschäften bestand, die wie bei
einem Mosaikpflaster dicht aneinander liegen. An den seit-
lichen Wänden wechselte ein wunderbares Spiel von Licht
und Schatten. Alles erlosch, wenn eine Wolke, wie ein Gaze-
vorhang auf der Bühne, vor der Mündung der Grotte vor-
überzog. Alles glänzte dagegen und schmückte sich mit al-
len sieben Farben des Regenbogens, wenn ein vom Kristall
des Grundes zurückgeworfener Sonnenstrahl sich in langen
leuchtenden Streifen bis zur Decke der Wölbung erhob.
Weiterhin brandete das Meer an den ersten Pfeilern des
ungeheuren Eingangsbogens. Dieser Rahmen, der sich so
schwarz abhob, als ob er aus Ebenholz geschnitzt wäre, ließ
alle Herrlichkeiten hinter sich desto voller zur Geltung kom-
men. Noch weiter draußen erschienen Himmel und Was-
ser in blendendem Glanz, und in weiter Ferne Iona, dessen
weiße Klosterruinen deutlich hervorschimmerten.
Wirklich bezaubert durch diese feenhafte Pracht, ver-
mochte niemand seinen Empfindungen Worte zu verlei-
hen.»Welch ein Zauberpalast!« rief endlich Miss Campbell,
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»und was für ein prosaischer Geist müßte es sein, der nicht
glauben könnte, Gott habe ihn für die Sylphen und Ni-
xen geschaffen! Für wen sollten beim Atmen des Windes
die Töne dieser großen Äolsharfe erklingen? Ist das nicht
jene überirdische Musik, die Waverley in seinen Träumen
hörte, jene Stimme Selmas, deren Akkorde unser Roman-
dichter aufgezeichnet hat, um damit seine Helden einzu-
schläfern?«
»Sie haben recht, Miss Campbell«, sagte Olivier Sinclair;
»sicherlich dachte Walter Scott, wenn er seine Bilder in der
poetischen Vergangenheit der Hochlande suchte, an den
Palast Fingals.«
»Oh, hier möcht’ ich den Schatten Ossians anrufen!« fuhr
das schwärmerische junge Mädchen fort. »Warum sollte der
unsichtbare Barde nicht nach 1.500jährigem Schlummer
auf meine Stimme erscheinen! Ich stelle mir so gern vor,
daß der Unglückliche, ebenso blind wie Homer und ebenso
Dichter wie dieser, wenn er die großen Waffentaten seiner
Zeit besang, sich oftmals in diesen Palast geflüchtet hat, der
noch heute den Namen seines Vaters trägt. Hier haben ge-
wiß die Echos Fingals häufig genug die epischen und ly-
rischen Eingebungen seines Geistes im reinsten gälischen
Idiom widergeklungen. Glauben Sie nicht, Mr. Sinclair, daß
der alte Ossian auf demselben Platz gesessen haben könnte,
auf dem wir uns jetzt befinden, und daß die Töne seiner
Harfe sich hier mit Selmas Stimme vermischten?«
»Wie sollte ich nicht glauben, Miss Campbell«, erwiderte
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Olivier Sinclair, »was Sie mit so
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