Der Grüne Strahl
benützen.
Alle verließen also Clam Shell und begaben sich zu der
Straße, die an der Ostseite der Insel verläuft. Das obere Ende
der senkrecht eingelassenen Säulenschäfte, die fast auf den
Gedanken führten, daß ein Architekt sie in dieser Weise
versenkt hätte, bot einen festen und trockenen Fußboden.
Der nur wenige Minuten beanspruchende Weg wurde plau-
dernd zurückgelegt, während alle die Schönheit der Eilande
bewunderten, an denen die Brandung tobte und über die
hinaus das lichtgrüne Wasser bis auf den Grund der Fel-
sen zu blicken gestattete. Man konnte sich unmöglich ei-
nen schöneren Weg nach jener Grotte vorstellen, die an sich
würdig erscheint, von einem Helden aus 1001 Nacht be-
wohnt zu werden.
An der südöstlichen Ecke der Insel angelangt, ließ Oli-
vier Sinclair seine Begleiter einige natürliche Stufen empor-
steigen, die sich mit der Treppe jedes Palasts hätten messen
können. An dieser Treppenecke erhoben sich die äußers-
ten Säulen, die längs der Wand der Höhle stehen, wie die
des kleinen Tempels der Vesta in Rom, nur näher nebenei-
nander, wie um die unbearbeitete Wand zu verhüllen. Auf
ihre Kapitelle stützt sich die gewaltige Steinmasse, die die-
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sen Teil des Eilands bildet. Die schräg verlaufenden Spalten
dieser Felsen, die nach dem Muster eines inneren Bogen-
gewölbes angeordnet scheinen, kontrastieren eigentümlich
mit der senkrechten Stellung der Säulen, die sie tragen.
Am Fuß jener Stufen hob und senkte sich das Wasser, als
ob es tief atmete, schon ein wenig stärker unter der Rück-
wirkung der hohen Wellen des offenen Meers. Hier spiegelte
sich der ganze Grund der Steinmasse wider, deren schwärz-
licher Schatten auf den Wogen schwankte.
Am oberen Treppenabsatz angekommen, wandte sich
Olivier Sinclair nach links und zeigte Miss Campbell eine
Art schmalen Kai, oder vielmehr natürlichen Absatz, der
sich an der Wand entlang bis tief in die Höhle hineinzog.
Ein dünnes Geländer von Eisenstangen, die im Basalt befes-
tigt waren, diente als Handleitung zwischen der Wand und
der scharfen Kante des Kais.
»Oh«, sagte Miss Campbell, »dieses Geländer verleidet
mir ein wenig den Palast Fingals.«
»Sie haben recht«, meinte Olivier Sinclair, »dieses Ein-
greifen der Menschenhand in das Werk der Natur stört ei-
nigermaßen.«
»Doch wenn es von Nutzen ist, muß man sich dessen be-
dienen«, bemerkte Bruder Sam.
»Ich werde es tun!« fügte Bruder Sib hinzu.
Beim Eintritt in die Fingalshöhle blieben die Besucher
auf Rat ihres Führers stehen.
Vor ihnen öffnete sich eine Art hohes und tiefes Kir-
chenschiff voll geheimnisvollen Halbschattens. Auf Meeres-
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höhe maß der Raum zwischen beiden Wänden etwa 34 Fuß.
Rechts und links verbargen Basaltpfeiler, die dicht neben-
einander standen, wie in gewissen Kathedralen der letzten
gotischen Periode, die Masse der Grundmauern. Auf die
Kapitelle dieser Pfeiler stützte sich der Anlauf einer unge-
heuren gerippten Wölbung, die sich unter den Schlußstei-
nen 50 Fuß über den mittleren Wasserstand erhob.
Trotz ihrer staunenden Bewunderung bei diesem ers-
ten Anblick mußten sich Miss Campbell und ihre Begleiter
doch endlich von dessen Betrachtung losreißen und dem
nach innen führenden Absatz der einen Wand folgen.
Hier streben in vollkommener Ordnung, aber in wech-
selnder Größe Hunderte prismatischer Säulen empor, gleich
Erzeugnissen einer gigantischen Kristallisation. Ihre feinen
Kanten heben sich so rein voneinander ab, als hätte der Mei-
ßel eines Bildhauers diese Linien ausgearbeitet. An die nach
rückwärts liegenden Winkel der einen schließen sich die
nach vorn sehenden der anderen genau an. Die einen zeigen
drei Flächen, die anderen vier, fünf bis sieben und acht, was
bei der allgemeinen Gleichförmigkeit des Stils eine ange-
nehme Abwechslung hervorbringt, die für den feinen Sinn
des Künstlers der Natur ein schönes Zeugnis ablegt.
Das von außen eindringende Licht spielt auf allen facet-
tierten Winkeln. Auf das Wasser unten treffend und wie von
einem Spiegel zurückgestrahlt, schimmert es auf den Stei-
nen unter Wasser, auf den grünen, dunkelroten oder hell-
gelben Wasserpflanzen, und entzündet mit tausend Blitzen
die Vorsprünge des Basalts, der in unregelmäßigen Abtei-
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lungen die Wölbung dieses Hypogäums, das in der Welt sei-
nesgleichen nicht findet, reizvoll
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