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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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verlassen; sie wird nicht aushalten können, bis
    wieder Ebbe eintritt. Wir müssen also zu ihr zu gelangen
    suchen!«
    »Ich werde gehen!« rief Patridge.
    »Nein! . . . Ich!« antwortete Olivier Sinclair.
    Er wollte ein äußerstes Mittel versuchen, zu Miss Camp-
    bell vorzudringen, und wenn dieses Mittel ihm auch nur
    sehr geringe Aussicht auf günstigen Erfolg versprach.
    »Warten Sie hier, meine Herren«, sagte er zu den Brü-
    dern Melvill. »In 5 Minuten sind wir wieder zurück. Kom-
    men Sie, Patridge!«
    Die beiden Onkel blieben unter dem Schutz des hohen
    Ufers, nah dem äußersten vorspringenden Winkel der Insel,
    an einer Stelle, die das Meer nicht erreichen konnte, wäh-
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    rend Olivier Sinclair und Patridge raschen Schritts nach
    Clam Shell zurückeilten.
    Es war jetzt 8 Uhr 30. 5 Minuten später erschienen der
    junge Mann und der alte Diener wieder und schleppten
    längs des Uferrands das kleine Boot der ›Clorinda‹, das ih-
    nen Kapitän John Olduck zurückgelassen hatte.
    Wollte Olivier Sinclair sich wirklich auf dem Wasser-
    weg in diese Höhle wagen, da der Landweg ihm verschlos-
    sen war?
    Ja, er wollte es versuchen. Wohl setzte er sein Leben da-
    bei aufs Spiel. Er wußte es, aber er zögerte deshalb nicht.
    Das Boot wurde, geschützt vor der Brandung, an den
    Fuß der Treppe, hinter eine der Basaltstufen geschafft.
    »Ich gehe mit Ihnen«, erklärte Patridge.
    »Nein, Patridge«, erwiderte Olivier Sinclair, »nein! Wir
    dürfen dieses schwache Fahrzeug nicht unnützerweise
    überlasten. Wenn Miss Campbell noch am Leben ist, genügt
    es, wenn ich auch allein komme.«
    »Olivier!« riefen die beiden Onkel, die ihr Schluchzen
    nicht zurückzuhalten vermochten. »Olivier, retten Sie un-
    sere Tochter!«
    Der junge Mann drückte ihnen die Hand, dann sprang
    er in das Boot, setzte sich auf dessen Mittelbank, ergriff die
    Riemen und gelangte mit zwei Ruderschlägen geschickt in
    die Mitte des Wirbels, wo er den Rückfluß einer ungeheu-
    ren Woge abwartete, die ihn direkt vor dem Eingang der
    Fingalshöhle traf.
    Hier wurde das Boot hoch emporgeschleudert, doch ge-
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    lang es dem mutigen jungen Mann, es durch gewandtes Ma-
    növrieren in gerader Linie zu halten; hätte es sich zur Seite
    gewendet, wäre es rettungslos gekentert.
    Jetzt warf das zürnende Meer das gebrechliche Fahrzeug
    fast bis zur Höhe der Wölbung, man hätte glauben können,
    daß diese Nußschale an der Felsenwand zerschellen müsse,
    als die Woge aber zurücksank, trug sie es mit unwidersteh-
    licher Gewalt wieder an die Außenseite der Höhle hinaus.
    Dreimal wurde das Boot so hin und her geschleudert,
    einmal hinein- und dann wieder hinausgeworfen, ohne
    noch durch die vor dem Eingang sich stauenden Wasser-
    massen gelangen zu können. Mit voller Kaltblütigkeit hielt
    sich Olivier Sinclair mit seinen Riemen.
    Endlich faßte ein noch höherer Wellenkamm das Boot;
    es schwankte einen Augenblick auf dem Rücken des flüssi-
    gen Ungeheuers, fast in gleicher Höhe mit dem Plateau der
    Insel; dann gähnte plötzlich ein tiefer Abgrund auf und Oli-
    vier Sinclair wurde in schräger Richtung, wie auf der herab-
    stürzenden Wand eines Wasserfalls, hinuntergeschleudert.
    Ein Schreckensschrei entrang sich den Zuschauern die-
    ser Szene. Es schien, als ob das Fahrzeug unwiderstehlich an
    den linken Eingangspfeilern zerschmettert werden müßte.
    Der unerschrockene junge Mann wendete jedoch sein
    Boot durch einen kräftigen Ruderschlag und verschwand,
    nachdem er einmal den Eingang erreicht, noch ehe das
    Wasser sich wieder zu riesigen Schwall erhoben hatte, mit
    der Schnelligkeit eines Pfeils im Inneren der Höhle.
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    Eine Sekunde später donnerten die Wogen wieder hin-
    ein und schäumten bis zum oberen Rand des Eilands auf.
    Würde das Boot nun im Hintergrund der Grotte zer-
    schellen, und sollte man zwei Opfer statt eines zu zählen
    haben? Glücklicherweise nein. Olivier Sinclair war schnell
    und ohne anzustoßen unter der ungleichen Deckenwöl-
    bung hinweggeglitten.
    Indem er sich platt in das Boot warf, entging er dem
    sonst unvermeidlichen Anstoßen an hervorstehende Säu-
    lenenden. Während des Zeitraums einer Sekunde flog er
    wieder gegen die anderen Seitenwände und fürchtete nur,
    wieder hinausgeworfen zu werden, ehe es ihm gelang, ir-
    gendeinen hervorragenden Haltepunkt im Hintergrund zu
    erreichen. Da stieß das Boot, infolge der in sich selbst ver-
    laufenden Wellenbewegung, nur

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