Der grüne Strahl
die Partie nach wenigen weiteren Schlägen entschieden, und die Brüder Melvill triumphirten, aber nur bescheiden, wie das Meistern zukommt. Aristobulos Ursiclos dagegen hatte trotz seiner wissenschaftlich begründeten Ansprüche nicht dazu gelangen können, den Mittelbogen zu passiren.
Miß Campbell gab sich nun den Anschein, viel ärgerlicher zu sein, als sie es in Wirklichkeit war, und mit kräftigem Schlage, auf dessen Richtung sie gar nicht achtete, trieb sie ihre Kugel weit weg.
Die Kugel rollte in der Richtung nach dem Meere zu, über das durch die Furchen begrenzte Spielterrain hinaus, prallte an einen Stein an, sprang dadurch in die Höhe und flog, ihre Schwere multiplicirt mit dem Quadrate der Geschwindigkeit, wie Aristobulos Ursiclos gesagt haben würde, nach dem Strande zu.
Unglücklicher Schlag!
Dort saß ein junger Künstler vor seiner Staffelei, beschäftigt, eine Ansicht des Meeres bis zur Südspitze der Rhede von Oban aufzunehmen. Die Kugel erreichte gerade die aufgespannte Malerleinwand, befleckte ihre eigene grüne Farbe, indem sie über jene hinstrich, mit allen Farben der Palette und warf endlich die ganze Staffelei um.
Der Maler drehte sich ruhig um und sagte:
»Gewöhnlich sendet man eine Kriegserklärung, ehe ein Bombardement begonnen wird!«
Im Vorgefühl eines bevorstehenden Unheils war Miß Campbell, noch ehe dieses eintrat, dem Strande zugelaufen.
»Ach, mein Herr, sagte sie, sich an den jungen Künstler wendend, bitte, verzeihen Sie mir meine Ungeschicklichkeit!«
Der Angeredete erhob sich, grüßte lächelnd das junge, in ihrer Verlegenheit desto schönere Mädchen, die sich eben entschuldigt hatte….
Es war der »Schiffbrüchige« aus dem Strudel von Corryvrekan!
Elftes Capitel.
Olivier Sinclair.
Olivier Sinclair war ein »netter Mann«, um den Ausdruck zu gebrauchen, den man oftmals in Schottland für wackere, lebhafte und geistig geweckte junge Leute anwandte; doch wenn ihm diese Bezeichnung in geistiger Beziehung zukam, so muß man gestehen, daß sie auch äußerlich auf ihn paßte.
Der letzte Sproß aus vornehmer Familie Edinburghs, war dieser junge Athener des nordischen Athens der Sohn eines bejahrten Raths der Hauptstadt von Milothian. Zeitig vater-und mutterlos, so daß er bei seinem Onkel, einem der vier Oberrichter der Munizipalverwaltung, erzogen wurde, hatte er auf der Universität seinen Studien mit gutem Erfolge obgelegen; im Alter von zwanzig Jahren sicherte ihm der Heimfall eines nicht unbeträchtlichen Vermögens mehr Unabhängigkeit, und begierig, die Welt zu sehen, bereiste er die wichtigsten Staaten Europas, ferner Indien und Amerika, und die bekannte »Revue« von Edinburgh veröffentlichte wiederholt einige Skizzen seiner Reisen. Ein sehr begabter Maler, der seine Bilder gewiß hätte zu ansehnlichen Preisen verkaufen können; Dichter, wenn er in poetischer Stimmung war – und wem widerführe das nicht in einem Alter, wo einem das ganze Leben entgegenlacht? – von warmem Herzen und Künstler von Natur, war er geschaffen, zu gefallen, und gefiel ohne Ziererei und Eitelkeit.
Miß Campbell spielte sehr gut. (S. 85.)
In der Hauptstadt des alten Caledoniens ist es leicht, sich zu verheiraten. Die Geschlechter sind dort an Zahl sehr ungleich, und das schwache überragt numerisch das stärkere bei Weitem. Einem jungen, gebildeten, liebenswürdigen, vornehmen und wohlgestalteten jungen Mann kann es da gar nicht fehlen, eine vermögende Frau nach seinem Geschmack zu finden.
»Gewöhnlich sendet man eine Kriegserklärung… (S. 87.)
Olivier Sinclair schien freilich auch mit sechsundzwanzig Jahren noch nicht das Bedürfniß zu Zweien zu leben empfunden zu haben. Hielt er den Fußpfad des Lebens für zu schmal, um Arm in Arm darauf zu wandeln? Nein, gewiß nicht; doch wahrscheinlich befand er sich wohl dabei, allein zu gehen, kreuz und quer, ganz seiner Laune folgend, hier-und dorthin zu irren, wie es ihm sein Geschmack als Künstler und Reisender eben eingab.
»Es ist nur ein kleiner Unfall, kein Unglück, erklärte der junge Mann lächelnd. Eine Sudelei, nichts weiter, an der die Kugel die gerechteste Kritik geübt hat!«
Olivier Sinclair äußerte das so freimüthig, daß die Brüder Melvill ihm fast ohne alle Umstände die Hände entgegen gestreckt hätten. Jedenfalls glaubten sie sich gegenseitig vorstellen zu sollen, wie das unter Gentlemen Sitte ist.
»Herr Samuel Melvill, sagte Bruder Sib.
– Herr Sebastian Melvill, sagte
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