Der grüne Tod
Straßenkinder, seiner Gefährten. Viel zu schnell hatte er erwachsen werden müssen, viel zu viel lernen müssen in verdammt kurzer Zeit. Das war nicht seine Schuld gewesen, sondern die einiger anderer, und Flinx kannte die dafür Verantwortlichen ganz genau.
Doch es hatte keinen Sinn, ihnen noch weiter Vorwürfe zu machen, denn sie alle waren tot.
»Wir werden gerufen, Sir.«
»Alle Funksprüche ignorieren.« Er hatte die Schnauze gestrichen voll von Jack-Jax Coerlis’ verkniffener, käsiger, psychotischer Fratze und hoffte nur, dass er sie niemals mehr wiedersehen musste.
Wie lange würde er sich noch mit irgendwelchen anmaßenden, dahergelaufenen Großmäulern herumschlagen müssen?
Wie lange noch sich in Zurückhaltung üben? Er spürte, wie sich seine Kopfschmerzen zurückmeldeten, ein dumpfes Pochen im hinteren Bereich seines Schädels. Selbst hier, im Schutze der Leere, war er nicht vor ihnen sicher.
»Vierzig Sekunden. Nennen Sie den Kurs, Sir. Bitte.«
»Ich sagte doch bereits, der Kurs spielt keine Rolle. Irgendwohin – irgendein Anflugziel auf dem gegenwärtigen Vektor. Die nächste bewohnbare Welt. Welche, ist mir vollkommen schnuppe. Nur weg von hier.«
»Sehr wohl, Sir. Übergang imminent.«
Eine neue Art von Beben durchlief das Schiff. Fast glaubte er, Coerlis’ wütendes Geheul hören zu können, als die Teacher von dessen Bildschirmen verschwand. Das Sternenmeer vor den Sichtluken wurde vom Dopplereffekt verzerrt und stürzte ineinander. Flinx’ Magen machte einen ordentlichen Satz. In der Zeit, die Coerlis brauchte, um sein eigenes Schiff auf die gleiche Geschwindigkeit zu bringen, wäre die Teacher längst in der unnatürlichen Grenzenlosigkeit des Plusraums untergetaucht.
Womit diese Angelegenheit hoffentlich erledigt wäre.
Und wie es weiterging, das würde sich zeigen.
Flinx war nie jemand gewesen, der sich allzu viele Gedanken um das Morgen gemacht hatte. Er war seinem Wesen nach eher eine reagierende denn agierende Kraft. Für den Augenblick jedenfalls war es ihm völlig egal, in welchem Sektor des Kosmos er sich am Ende wiederfinden würde.
5
Flinx machte sich nicht die Mühe, die Tage zu zählen. Er war zufrieden damit, einfach nur unterwegs zu sein. Es war müßig, sich Gedanken darüber zu machen, wo er zuletzt gewesen war und wohin sein Schicksal ihn führte. Hier im Plusraum, wie in einem Kokon eingeschlossen in der Verlässlichkeit und Geborgenheit verheißenden Obhut der Teacher, war er endlich frei von dem emotionalen Rauschen und Getöse, das die zahllosen vernunftbegabten Wesen unablässig verbreiteten. Hier gab es keine Kopfschmerzen, keinen Anlass, sich nach den wahren Motiven vermeintlicher Freunde oder alter Bekannter zu fragen. Die KI der Teacher existierte allein, um zu dienen, und das tat sie ohne jede Emotion.
Nur gab es da ein einziges Problem.
Im Grunde genommen war er kein Eremit.
Flinx liebte das Gefühl, auf festem Boden zu schreiten, die Blitze und atmosphärischen Phänomene noch zu erforschender Welten, die Gesellschaft und den Gedankenaustausch intelligenten Lebens. Dieses Paradox hatte ihn seit jeher begleitet: dem Empfinden nach ein Einzelgänger, doch von Natur aus gesellig.
Wenn er ihre Emotionen doch nur ausblenden könnte, sich abschotten vor ihren Gefühlen und ihren belanglosen inneren Wutausbrüchen und Wehwehchen; wie herrlich wäre es, sich inmitten einer Menge so wohl fühlen zu können wie in der vertrauten Umgebung der Teacher. Doch leider war dies unmöglich.
Sie versetzten ihn in Aufruhr und zerrten an ihm, verlangten seine Aufmerksamkeit, provozierten seine Fähigkeit stets aufs Neue und stahlen sich mit ihrem verzweifelten Selbst in seinen Verstand. Fast musste er lächeln. Vielleicht war das der Grund, warum er immer Kopfschmerzen bekam.
Reizüberflutung.
Er ergötzte sich an philosophischen Theorien, lenkte sich ab mit gehaltvoller Musik, versuchte seinen Horizont durch die Beschäftigung mit Kunst zu erweitern und unternahm sogar einen weiteren Vorstoß, die Natur seines besonderen Talents zu ergründen. Bis das Schiff eines Tages mit freundlicher Stimme verkündete: »Bereit für den Übergang, Sir. Wiedereintritt in den Normalraum imminent.«
»Nur die Entropie ist imminent, Teacher. Wusstest du das nicht?«
»Sie haben wieder Sheckley gelesen, Sir. Aufschlussreich, aber ohne Relevanz.«
»Wahrheiten sind aufgrund ihres vergänglichen Charakters nicht weniger wahr.«
»Leider ist es mir zum gegenwärtigen
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