Der grüne Tod
schleiften sie sodann das verendete Tier Richtung Wald.
Von seinem Platz auf einem der herumliegenden Felsbrocken aus beobachtete Flinx, wie die beiden Stränge ihre Beute durch die Baumkronen zerrten. Seine erste Theorie war, dass sie ihren Ursprung in dem Baum selber hatten. Doch als er näher hinsah, erkannte er, dass sie sich nicht in den Stamm, sondern in eine mächtige beulenähnliche Masse zurückzogen, die an der Baumrinde hing und sich farblich kaum von seinem stoischen Wirt unterschied. Vor Flinx’ innerem Auge erschien das Bild einer Napfschnecke von der Größe eines Grizzlys.
Die Tentakel hievten den schweren Kadaver zu der graubraunen Masse hinauf. Seitlich öffnete sich ein zahnloses Maul. Flinx fragte sich, ob der Baum wohl irgendeinen Nutzen aus dem Ding, das an seiner Rinde klebte, zog. Möglicherweise hielten dieses und andere Vertreter seiner Art im Zuge ihres natürlichen Beutetriebs fliegende Pflanzenfresser von den Mammutbaumkronen fern, die sonst vielleicht das ungeschützte, die Sonne liebende Blätterdach verwüstet hätten.
Doch er hatte nicht vor, diese Sache näher zu untersuchen. Die Tentakel rollten sich an der Seite des Klumpens straff zusammen, während das, was von dem stolzen Räuber der Lüfte noch übrig geblieben war, in dem aufnahmebereiten Hohlraum verschwand.
Flinx bemerkte ein weiteres, deutlich kleineres Flugwesen, das sich näherte. Es besaß rote und rosafarbene Federn, einen langen Hals sowie einen Schnabel wie ein rosenrotes Stilett. Majestätisch schwebte es über den Gipfeln des Waldes heran und hatte es fraglos auf die unteren Äste und Zweige abgesehen.
Kaum war es in die Schatten der Baumkrone eingetaucht, schnellte blitzschnell einer der eingezogenen Tentakel hervor. Es folgte ein markerschütternder Knall, ein verspätetes Echo ebenjenes Geräusches, das wenige Augenblicke zuvor ihn und Pip außer Gefecht gesetzt hatte. Schlagartig war der Kopf der gefiederten Kreatur verschwunden. Der leblose Rest krachte in die Baumwipfel darunter, überschlug sich und kam schließlich zur Ruhe. Schon schoss ein weiterer Tentakel hervor, um sich die frische Beute zu schnappen.
Zum Glück für Flinx schien das Tentakelwesen, dem er spontan den Namen »Peitschenpocke« verpasste, nur hoch in der Luft fliegende Lebensformen anzugreifen. Seine Wahrnehmungsrezeptoren mussten permanent himmelwärts gerichtet sein.
»Erinner mich doch bitte daran, dass ich hier auf Paragliding verzichte«, murmelte er in Richtung Pip. Die fliegende Schlange schaute ihn missmutig an.
Er hatte das Shuttle erst vor wenigen Minuten verlassen, und in dieser kurzen Zeit war er nicht nur mit einem, nein, gleich mit zwei einheimischen Raubtieren in Kontakt gekommen, und nicht eines von ihnen hatte auch nur ansatzweise Ähnlichkeit mit etwas, das ihm früher schon einmal begegnet oder zumindest in Büchern untergekommen war. Das anfänglich so friedvolle Bild des warmen, feuchten Regenwalds nahm allmählich bedrohlichere Formen an. Eine kleine kühle Brise hätte vielleicht helfen können, aber die Luft war so dick und schwer wie ein abgestandener Eintopf.
Er schirmte mit der Hand die Augen ab und spähte hinauf in das gelbgrüne Licht, sich mit einem Male bewusst werdend, dass er hier auf der kahlen Bergspitze wie auf dem Präsentierteller stand. Ganz offensichtlich war dies kein guter Ort zum Verweilen, und er tat gut daran, sich geschütztere Gefilde zu suchen. In der Ferne konnte er ein paar verschwommene Silhouetten erkennen, die unentwegt aus dem grünen Baldachin der Bäume emporstiegen und wieder hinabtauchten. Gewiss waren nicht alle von ihnen gefährliche Räuber, aber solange er nicht wenigstens ein bisschen mehr über die hiesige Fauna wusste, war es besser, nichts zu riskieren.
Eine Folge klagender, dicht hintereinander ausgestoßener Schreie hallte zu ihm herab. Er legte den Kopf in den Nacken, um nach oben zu spähen. Hoch über ihm segelte mit schillernden Flügeln ein Schwarm stromlinienförmiger, cremefarbener Kreaturen hinweg. Jede von ihnen war vielleicht halb so groß wie sein Shuttle.
Etwas weiter im Westen ließ sich, an jeweils drei gasgefüllten Säcken hängend, die ihnen aus dem Rücken wuchsen, eine quäkende Traube von Blattfressern über die Baumwipfel treiben. Bei einigen baumelten mannigfaltige Arten von Beinen herab, bei anderen dagegen zuckende und sich windende Tentakel. Der enorme Einfallsreichtum der Natur trat bei diesen Seglern in vollem Ausmaß zutage. Einem
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