Der grüne Tod
Solchermaßen beruhigt, setzte er seinen Abstieg fort, immer dem sich sacht krümmenden Verlauf des Astes folgend.
Explodierende Farben besprenkelten mit grellbunten Tupfern den Wald, brachen als leuchtende Blüten aus Bromelien und anderen epiphytischen Pflanzen hervor, die wiederum selbst symbiontischer oder parasitärer Vegetation eine Heimstätte gaben. Viele dieser Nebengewächse waren so groß wie gewöhnliche Bäume und boten Platz für noch kleinere Pflanzen. Die größten Bäume mussten gigantisch sein, erkannte Flinx, nicht nur wegen der immensen Höhe, die sie erreichten, sondern auch weil sie es schafften, eine solch gewaltige zusätzliche Biomasse zu tragen und zu versorgen.
Ebenso wie das Heer von Farben umgaben ihn zahllose Geräusche – eine unregelmäßig modulierende Kakophonie aus Kreischen und Brüllen, Quaken und Zwitschern, Schreien und Fauchen und Gezirp und Geheul. Einige Laute kamen seinen Außenweltler-Ohren beinahe vertraut vor, während andere mit nichts eine Ähnlichkeit aufwiesen, worauf er während all seiner Reisen jemals gestoßen war. Es war, als durchquerte er eine grüne See, deren Bewohner er wohl hören, nicht aber verstehen konnte.
Als er eine größere offene Stelle erreichte, hielt er sich an einer dicken Liane, deren Farbe der von altem Rum ähnelte, fest und lehnte sich über den Astrand hinaus. Bis zum nächsten festen Geäst ging es an die zwanzig Meter hinab in die Tiefe, stellenweise noch darüber hinaus. Kaum vorstellbar, dass der eigentliche Waldboden noch Hunderte von Metern unter ihm lag.
Unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf, ob er, wenn er jetzt herunterstürzte, wohl von Ast zu Ast abprallen würde, bis er irgendwann unten aufschlagen würde, oder ob er zuvor in irgendwelchen ineinander verschlungenen Zweigen oder Pflanzengeflechten hängen blieb? Etwas von der Größe seines kleinen Fingers kam wie aus dem Nichts angesaust und verharrte vor seiner Nase, um ihn zu beäugen. Das Wesen sang wie eine geschrumpfte Kalliope und war von rotgrünen Streifen bedeckt. Drei wachsame blaue Facettenaugen musterten ihn mit undefinierbarem Blick. Dann kam es wohl zum Schluss, dass es nichts von Interesse an dem großen, schlaksigen Eindringling gab, drehte sich in der Luft um und düste wieder davon.
Die Luft war so gesättigt mit mannigfaltigen und schweren fremden Gerüchen, dass Flinx das Gefühl hatte, er könnte sie sich genauso gut wie ein Schlagsahnedessert in den Mund hineinschaufeln, anstatt sie einfach einzuatmen. Ungefähr so, als hätte man eine Parfümfabrik mit voller Wucht auf einen Kunstdüngerbetrieb krachen lassen. Das Ergebnis ließ sich mit Fug und Recht als kritische Duftmasse bezeichnen, fand Flinx.
Er war von einer alles beherrschenden Wärme erfüllt, die er dem beständigen und größtenteils angenehmen Ansturm auf seine Sinne zuschrieb. Nicht ein einziges mentales Pochen störte ihn in seinen Gedanken. Nicht der leiseste Anflug von Kopfschmerz quälte ihn hier.
Hin und wieder blieb Pip etwas zurück oder flatterte ein kleines Stück voraus, um eine unbekannte Blüte oder ein nur langsam vom Fleck kommendes Tier zu untersuchen. Alles in allem schien sie die Flut an neuen Eindrücken bestens zu verkraften.
Flinx blieb stehen, um seinerseits eine Blüte näher zu betrachten, deren Blätter sich zu formvollendeten Spiralen in die Höhe wanden. Die Oberseiten der Blätter waren von leuchtendem silbernen Grün, die unteren grüngold. Eine jede mit einem Durchmesser von knapp einem Meter, sprossen etwa ein Dutzend dieser Blüten aus jeder Stammpflanze empor. Sie sahen aus wie der Schmuck eines gigantischen Weihnachtsbaums und dufteten nach Sandelholz und Zimt. Schier überwältigt von der glitzernden Pracht setzte er seinen Weg fort.
Unzählige kleine Lebewesen jagten den Ast und dessen Ausläufer entlang und versuchten unter geschicktem Einsatz ihrer Flügel und Gliedmaßen, Flinx’ Nähe zu vermeiden. Die meisten von ihnen waren nach dem Drei-Augen-sechs-Beine-Konzept erschaffen worden, das auf diesem Planeten die Norm zu sein schien, wenngleich es auch zahllose Varianten in der Anzahl und Beschaffenheit anderer Gliedmaßen und Körperteile gab.
Flinx ging weiter, bis ihm eine einzelne, an die drei Meter große Blume den Weg versperrte. Die an die Hunderte schlanken Blätter der unglaublichen Blüte waren dunkelgrün und mit orangegelben Flecken durchsetzt, während in der Mitte etliche dicke apfelsinenfarbige Knoten hervorwuchsen,
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