Der grüne Tod
Dieser Urwald, so wurde ihm klar, war der sprichwörtliche Himmel, von dem jeder verdiente Botaniker träumte.
Wenn die Heimatbäume und die Pillare selbst in dieser Höhe noch so gewaltig waren, fragte er sich, wie dick mussten sie dann erst an ihrer Basis sein?
Nach zwei Tagen permanenten Aufenthalts im schattigen Urwald ließ das diffuse ungefilterte Sonnenlicht ihn blinzeln. Er hätte sich einfach abwenden können, doch das wilde und ungezügelte Wachstum hielt ihn gefangen. Allmählich passten sich seine Augen an die Helligkeit an, und er konnte einzelne kleinere Umrisse erkennen.
Und es war auch keine stille Szene, die sich ihm bot. Sie war erfüllt von Summen und Brummen, von Kreischen, Dröhnen, Zwitschern und Pfeifen und Keckem, hervorgebracht von Wesen jedweder Größe und Form. Die meisten folgten, wie nicht anders zu erwarten, in ihrem Aufbau jenem physiologischen Dreiermuster, das er bereits bei seiner Ankunft beobachtet hatte, wenngleich auch spezifische Varianten anzutreffen waren.
Hin und wieder stürzte sich ein Räuber des Himmels in die grüne Tiefe, nur um kurz darauf wieder zum Vorschein zu kommen, oftmals nur mit Mühe an Höhe gewinnend, während er mit Klauen, Schnabel oder Zähnen irgendeinen unglücklichen Waldbewohner fest im Griff hatte. Ein Schwarm von Geschöpfen, die von je einem Dutzend rasch schlagender Flügel durch die Lüfte getragen wurden, zog Flinx’ Aufmerksamkeit auf sich. In steter Abfolge blitzten sie auf und erloschen wie an Schnüren befestigte Haken, während ein jedes der faszinierenden Geschöpfe durch einen meterlangen, röhrenförmigen Rüssel Blütennektar schlürfte.
Ein aufgedunsener Beutefänger mit kurzen Flügeln schoss mitten in sie hinein und jagte den Schwarm und seinen lärmenden Chor auseinander. Spitze Stachel zierten ganzflächig den Körper des Räubers. Wie ein Stein ließ er sich nach unten sacken und tauchte wenige Augenblicke später mit zwei auf seinen Stacheln aufgespießten Nektarsaugern wieder auf. Man musste keineswegs, wie Flinx erkannte, über Klauen und Zähne verfügen, um ein erfolgreicher Jäger zu sein.
Etwas Großes senkte sich von oben auf den Höhleneingang herab und warf einen dunklen Schatten an die grünliche Wand, vor der sie lagerten. Die Kreatur war im Grunde nicht mehr als ein enormer, in allen Regenbogenfarben schillernder gasgefüllter Sack, an dem zahllose Tentakel hingen. Offensichtlich suchte sie den Waldrand nach geeigneter Beute ab. Als sie nach einer Weile ihre Umrundung des Tals beendet hatte und wieder in den dunstgeschwängerten Himmel aufstieg, war in ihren Fangarmen ein halbes Dutzend kleinerer Geschöpfe zu erkennen, die sich zappelnd aus dem tödlichen Griff zu befreien versuchten.
»Ein Bunaschweber.« Teal beugte sich nach vorn, um sich davon zu überzeugen, dass die luftschiffgroße Kreatur wirklich weitergezogen war. »Er ist zwar nicht stark genug, um einen Menschen davonzutragen, aber er kann ihn allemal töten.«
Obschon beeindruckend, war der Buna bei weitem nicht das imposanteste Flugwesen, das sie zu Gesicht bekamen. Diese Ehre gebührte einem gigantischen, blauschwarzen Segler, der mit Kiefern ausgestattet war, in denen sage und schreibe drei Zahnreihen prangten und die breiter waren als Flinx groß. Mit der Flügelspannweite eines mittleren Suborbitalschiffs ähnelte er einem riesigen, hoch in den Lüften lebenden Rochen.
Es war nicht schwer nachzuvollziehen, weshalb Teal und die Angehörigen ihres Volkes den Himmel über den Baumkronen als die Obere Hölle begriffen. Ihre Offenbarungen machten Flinx nur umso neugieriger darauf, die Untere zu sehen.
Doch nicht jetzt.
Der ferne Klecks aus diffusem Licht, der die Sonne dieser Welt darstellte, zerlief am Horizont aus verwaschenem Gelbgrün und wich dem steten Trommeln des tropischen Regens. Nächtliche Rufer begannen nach ihren Gefährten zu schreien, mit ihren Jungen zu kommunizieren und sich gegenseitig vor der möglichen Anwesenheit verborgener Killer zu warnen, die mit leisem Rascheln durch die Hyläa strichen, stummen Todesschatten gleich.
Zirpen und Bellen, Gepfeif und Geächz, Gekreisch und wütendes Blöken begleiteten den Einbruch der Nacht. Einem inzwischen vertrauten Prozedere folgend begab sich Flinx zu Teal und ihren Kindern in die hinterste Ecke der ausgebrannten Höhle, während die Furcots entlang des Einstiegs eine schützende Mauer bildeten. Fahles Mondlicht schien auf das Tal in dem Wald und den herabfallenden Regen. Es war
Weitere Kostenlose Bücher