Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
Glück empfand. Er in der Suite, sie im Zimmer nebenan. Bereit zu plaudern, wenn er dazu aufgelegt war, und ihn in Frieden zu lassen, wenn er in Frieden gelassen werden wollte. Perfekt in der Arbeit und überhaupt in jeder Hinsicht perfekt. Und zudem voller Lachen – das war im Grunde genommen mehr, als man sich erhoffen konnte. Es machte Spaß, dieses strahlende Geschöpf mit den faszinierend animalischen Bewegungen zu beobachten. Selbstverständlich hätte er gern mit ihr geschlafen, aber er wusste ganz genau, dass es absolut nicht in Frage kam, mit seiner rechten Hand zu schlafen, und deswegen unterließ er es.
    Die Reisen mit Lotta waren so etwas wie kleine Feste, Kopie und Schatten eines großen Festes, das ihm nicht vergönnt gewesen war. Obwohl diese kleinen Feste an und für sich nett waren, verspürte er danach immer Bitterkeit, denn sie erinnerten ihn unweigerlich daran, dass das Leben statt der einen Hauptsache nur eine Aneinanderreihung von Nebensachen bot.
    Die Hauptsache hatte er im Fenster von Silberstrand drei gesehen, eine Frau in blauem Pyjama, die Vorhänge zuzog und sich in eine das Licht löschende Schattengestalt verwandelte. Bestätigung dessen, was ihm in seinem Leben als Siebenmonatsfest zugedacht war, mehr nicht. Vorhang.
    Manche erlebten nie ein derartiges Fest, nicht mal an einem einzigen Tag. Aber ein Trost war das nicht, den gab es nirgends. Zuallerletzt in einem unbekannten Haus, wo er aus irgendwelchen unbegreiflichen Gründen gestrandet war. Aus Angst vor sich selbst? Oder Angst vor seltsamen Gestalten, die ständig wiederauftauchten? Wie Taxichauffeur Nonni.
    Sigríður mit den schwimmenden Augen – war sie vielleicht ein ausgesandter Spuk und er selber infolgedessen dem Tode geweiht? Ging es darum, dass er sein Leben im Haus neben Una beschließen sollte? Wurden nicht Schicksale genau so besiegelt? Irgendeine Maschinerie wurde in Gang gesetzt, die nicht aufzuhalten war und nach ihren eigenen Mechanismen ablief.
    Er betrachtete sich von außen, als würde er sich einen spannenden Film über Karl Ástuson ansehen. Was kam als Nächstes? Würde ihn jemand umbringen oder zusammenschlagen? Wer käme dafür in Frage? Wie würde er es machen? Und vor allem: weshalb? Vielleicht völlig grundlos. Wurden nicht dauernd Leute wegen nichts und wieder nichts umgebracht? Aber was wäre das für ein Tod? Mit ihm könnte man sich noch weniger abfinden als mit allen anderen Todesarten zusammengenommen.
    Aber da er nicht tot, sondern quicklebendig war und an keinerlei Herzbeschwerden litt, konnte er noch aufstehen und die Vorhänge aufziehen; also stand er auf und zog die Vorhänge auf. Was er sah, war Unas Garten, der zum Meer hin lag, beleuchtet vom Vollmond und von Gartenlaternen. Die Sträucher und die Kiefer waren weiß, der Ententeich gefroren. Den Garten trennte nur ein Fußweg vom Ufergeröll und vom Meer, demselben Geröll, auf dem sie an einem Sonnenscheinabend im Juli gesessen, die Köpfe aneinandergelehnt und über eine unendliche Zukunft, sogar mit Kindern, gesprochen hatten und er ihr anvertraute, dass er irgendwann einmal ein kleines Mädchen bekommen wollte, das möglichst Ásta heißen sollte; und Una hatte ihm endlich erzählt, dass sie sich beim Silvesterfeuer in ihn verliebt hatte, weil er so süß und so lieb und so gut zur kleinen Nichte Ásta gewesen sei.
    Es war wieder still geworden in der nächtlichen Welt, keine Schneeflocke trieb sich mehr herum, und der Wind hatte sich vollkommen gelegt. Nichts bewegte sich außer dem ewig lebendigen Meer, das direkt beim Haus der geliebten Frau an Land rollte. Daran änderten weder Jahreszeiten noch Wetter etwas. Die See war unwandelbar. Schön wäre es, das Leben in einem unwandelbaren Haus am Meer zu beschließen. Aber lieber nicht in diesem Haus, nicht gleich.
    Er lauschte eine Weile, wie das Meer das Einzige besang, das er mit allen Sinnen und dem ganzen Körper begehrte, nämlich die Frau im nächsten Haus. Und das Meer fing sogar an, ihren Namen zu summen: U-na, U-na, Un-a-a-Un-a. Dasselbe Meer wie damals, als es sie immer wieder zum Spülsaum zog, wo sie stundenlang saßen, egal, ob das Wetter ihnen gewogen war oder nicht, manchmal sogar im Regen; als würden sie sich etwas vom Meer erwarten. Eine Yacht, die bei ihren Zehen vor Anker ging, eine Seejungfrau, eine Offenbarung, ein U-Boot.
    Das Meer summte U-na, U-na, und der nächtliche Gast summte mit, während es ihn in den Fingern juckte, eine Frau jenseits des Meeres

Weitere Kostenlose Bücher