Der gute Liebhaber
mit ausgerechnet diesem Namen über den Weg gelaufen. Von jetzt an würde er dazu gezwungen sein, genau die persönlichen Fragen zu stellen, die er immer so geschickt vermieden hatte: möglichst präzise Angaben, Name und Herkunft, und zwar gleich während der ersten Viertelstunde.
Bevor er endlich selber in die Dusche ging, zog er die verrauchte Bettwäsche ab und öffnete die Balkontür. Es fehlte nicht viel, und er hätte das Bett auch neu bezogen, statt darauf zu warten, dass Immaculada sich darum kümmerte, aber er ließ es bleiben, denn er war nicht mehr in Übung.
Er ließ die Balkontür im Liebhaberinnen-Zimmer einen Spaltbreit offen stehen und ging in sein Schlafzimmer. Er konnte nicht einschlafen. Normalerweise herrschte nach einer Liebesbegegnung die Zufriedenheit in ihm vor, dass alles genau so gelaufen war, wie es gemäß den
Arbeitsregeln
verlaufen sollte. Diesmal war er jedoch innerlich zu aufgewühlt, und ständig gingen ihm Bruchstücke aus dem Gespräch mit Doreen Ash durch den Kopf. Er war sogar so weit gegangen, ihr eine relativ genaue Beschreibung von Ástamama zu geben. Es war ein Rätsel, wieso die Frau diese Wirkung auf ihn gehabt hatte.
Und jetzt, drei Jahre später, war er so tief gesunken, dass er das Bedürfnis verspürte, wieder mit ihr zu reden.
Mit Doreen Ash zu reden, der psychoanalytischen Sachbuchautorin, die die Menschheit in Bausch und Bogen abfertigte. Söhne waren so, und Mütter waren so, hauptsächlich aber so und so. Das war, grob gesprochen, schwarzweiß ohne irgendwelche Nuancierungen. Primitiv. Manche behaupteten, dass es erst aufgrund von derartigen Generalisierungen möglich sei, die Dinge klar zu sehen, aber das hier war letzten Endes in jeder Hinsicht eine Beleidigung der menschlichen Natur und eine Beleidigung des komplizierten menschlichen Denkens. Und nicht zuletzt fühlte er sich nicht nur persönlich, sondern auch im Namen seiner Mutter beleidigt. Mit ihren amerikanischen Patentlösungen hatte Doreen Ash es darauf angelegt, das Ansehen von Müttern und speziell das von Ástamama herabzusetzen und die vergnügten und schönen Tage von Kalli Knirps schlechtzumachen. Wer es geschafft hatte, dass ein Kind sich wohlfühlte, hatte etwas im Leben geleistet, so viel wusste er inzwischen. Und auch, dass seine Mutter nicht nur als solche einzigartig gewesen war; niemand, der sie gekannt hatte, konnte sie vergessen, sie war von Leben und Freude umgeben gewesen und hatte eine ganz spezielle Art von Güte ausgestrahlt, eine Güte, die nur ihr eigen war, die er noch nicht einmal beschreiben könnte, wenn man ihn danach gefragt hätte. Er hätte nur sagen können, dass er sie aus allen Leibes- und Seelenkräften vermisste und das für den Rest seines Lebens tun würde.
Er träumte häufig von Ástamama, aber sie konnte ihm auch im Wachen nahe sein wie ein lebendiger Mensch; beispielsweise bei leise rieselndem Schnee, wenn große Flocken um einen Laternenpfahl schwebten. Wenn er etwas Ungewöhnliches sah oder hörte, stellte er sich vor, was für eine witzige Bemerkung Ástamama dazu gemacht hätte, sie kam immer auf Dinge, die niemand anderem eingefallen wären. Sie hatte eine spezielle Art von Humor, der manchmal auch etwas peinlich sein konnte, weil er mitten ins Schwarze traf. Wem außer Ástamama wäre es eingefallen, während des letzten Satzes der Neunten Symphonie von Mahler über den Dirigenten zu sagen: Er dirigiert wie ein Holzfäller. (Genau so zerhackte er nämlich die Luft, und zudem war er natürlich Finne.)
Una hatte einen ganz ähnlichen Humor wie Ástamama, sie hatte es immer geschafft, ihn zum Lachen bringen. Er selber konnte nichts anderes als dumme Witze machen. Nachdem Ástamama und Una aus seinem Leben verschwunden waren, blieb er allein mit sich selbst in einer Welt ohne Lachen zurück.
Erst Lotta brachte ihn wieder zum Lachen. Sie war auf ihre sehr amerikanische Weise unglaublich schlagfertig und witzig. Aber dabei wurde er wieder an Unas Lachen erinnert, das er sein Leben lang entbehren musste, er war ein Mensch der Entbehrung. Ein Ausdruck, der ihn sehr präzise beschrieb, auch wenn er formal gesehen keine andere Bedeutung hatte.
Allenfalls in den elegantesten Hotels an den schönsten Stränden der Welt konnte er sich manchmal durch die Tage hindurchlavieren, ohne zu oft an das erinnert zu werden, was fehlte. Die beiden Male, wo er mit Lotta in ein solches Strandhotel gefahren war, klappte es so gut, dass er es schon fast als eine Art von
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