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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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jedem Wetter täglich an irgendeinem Strand spazieren gingen und ein Steinchen zum anderen legten; indem sie Konzerte besuchten und alles um sich herum vergaßen; indem sie einen Ausflug aufs Land machten und sich eine Unterkunft aussuchten, die eine Kulisse aus der Ewigkeit hätte sein können – bei einem gefrorenen See unter immergrünen Nadelbäumen, die sich wiegten wie Tänzer mit vielen Armen und Schenkeln.
    Das Zusammenleben mit Una war wie ein Leben im Wasser. Jeder Tag brachte eine neue Art von Leichtigkeit, Schwerelosigkeit, die nur die Liebe hervorbringen kann, und Karl kam es beinahe so vor, als würde er schweben oder zumindest kaum den Boden berühren. Una fiel auch auf, wie viel beschwingter er ging, und sie sagte es ihm ohne jeden ironischen Unterton. Er nahm allerdings auch tatsächlich ab, denn seine Essgewohnheiten waren umgekrempelt worden. Der Eremit Karl Ástuson hatte Steaks mit Salat gegessen und Rotwein getrunken. Und zwischendurch Whisky. Mit Una aß er Fisch und Muscheln und trank am liebsten Champagner und Weißwein. Whisky rührte er nicht mehr an.
    Als der Frühling auf Long Island eine bestimmte Richtung eingeschlagen hatte, aus der man schließen konnte, dass sich daraus ohne Rückschläge ein Sommer entwickeln würde, hatten Una und Karl äußerliche Störfaktoren so weit in den Griff bekommen und das Haus auf Long Island so abgeschirmt, dass die Welt nur nach gewissen festgesetzten Spielregeln Zugang hatte – und im Musikzimmer war sie völlig ausgeschlossen. Dort konnten sie sich nach Bedarf eine gute Arie anhören.
Happy we
von Händel, und schlimmstenfalls sangen sie mit.
    Doch im beginnenden Sommer mit Una und in dem besonderen Glück, das sich allgemein mit einem Sommer einstellt, gar nicht zu reden davon, wenn man liebt, stand Karl kurz vor der Entdeckung, dass er auch in einer Dimension jenseits von Una existierte – und dort hatte sich eine andere Frau eingenistet.
    Zu seinem Entsetzen musste dieser akkurate Mann, nachdem er und Una auf Long Island feste Wurzeln geschlagen hatten, langsam, aber sicher feststellen, dass seine Gedanken manchmal auch um Doreen Ash kreisten. Was auch immer sich sein ansonsten so standhafter Sinn davon versprach.
    Seine Dankesschuld ihr gegenüber hatte er schriftlich abgetragen, mit wohlgesetzten Worten, an denen er lange herumformuliert hatte. Das reichte natürlich nicht aus, wie sollte es auch angesichts der Höhe der Schuld. Aber sich dabei zu ertappen, stets und ständig an seine Wohltäterin zu denken – grenzte das nicht schon an eine fixe Idee? Es war auf jeden Fall so höllisch, dass er sich mit einer neunschwänzigen Katze gegeißelt hätte, wäre er davon überzeugt gewesen, dass diese Methode geholfen hätte.
    Karl Ástusons Gedanken kreisten so hartnäckig um Doreen Ash, dass er sich gezwungen fühlte, etwas zu unternehmen. Er wollte auf keinen Fall Gefahr laufen, dass irgendetwas seine und Unas Beziehung beeinträchtigen könnte. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Gedanken, was zu tun war, und ihm fiel nur eines ein: Er musste los, um Doreen zu treffen, um herauszufinden, ob er dieser Frau nicht Fesseln anlegen konnte; er musste seine Gedanken wieder auf die Reihe bekommen, damit er sie wie Aktenunterlagen auf dem Schreibtisch systematisch zu ordentlichen Stapeln sortieren konnte.
    Es war normal, ihr unter dem Vorwand der Dankbarkeit einen Besuch abzustatten. Er wählte ein großzügiges Geschenk für die Retterin, ein Platin-Armband mit Lapislazuli. Das war, wie gesagt, normal, doch weshalb ließ er
Von Karl
eingravieren? Er versuchte sich einzureden, dass sich damit der Wert des Geschenks erhöhte. Aber stimmte das wirklich? Hätte er nicht Rücksicht auf Doreens eifersüchtige Lebenspartnerin nehmen müssen? Der Psychologin Liina, mit zwei i?
    Er fuhr mit der Bahn nach New York, das war ungewöhnlich. Er hatte sich nicht angemeldet (das war ebenfalls ungewöhnlich). Er saß also sozusagen im Ausnahmezustand am Zugfenster, und die Metropole breitete sich vor ihm aus mit allem, was in ihr war, an erster Stelle aber stand eine Einwohnerin – Doreen Ash. Der lebenspendenden Hebamme, die äußerlich gesehen weit davon entfernt war, dieser Berufsbezeichnung zu entsprechen, und die sich wohl nie als einen guten Menschen bezeichnet hätte. Aber sie war selbstverständlich gut, wenn man genauer hinsah, viel eher als diejenigen, die sich mit dem milden Schleier der Menschenliebe umgeben und sich selber anpreisen: Hier bin

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