Der gute Liebhaber
Rechnung zu stellen.
Sie waren im buchstäblichen Sinne so lachhaft gut aufeinander abgestimmt, dass sie immer noch vierhändig auf dem Klavier spielen konnten, ohne sich zu sehr in die Quere zu kommen. Das war eine Fähigkeit von früher, aber sie entdeckten auch neue an sich; beispielsweise im gemeinsamen Verfassen von Kurzprosa für die Umwelt in Form von SMS -Geschichten über Unas Reise – und ihr späteres, angeblich zufälliges Treffen in New York. Es stand auf einem anderen Blatt, ob dieser Version so ohne weiteres geglaubt werden würde. Die Hauptsache war, sich daran zu halten.
Einem Dieb, und wirklich nur einem, gelang es, ins Paradies einzudringen. Einem Tier ohne Hirn, einer berüchtigten Mücke aus den Sümpfen, die Una so übel mitspielte, dass ihr rechtes Auge versank. Das geschah am fünften Tag, als sie einen Ausflug nach Saintes-Maries-de-la-Mer machten.
Una wunderte sich über diesen Namen, laut Reiseführer waren dort drei Marias übers Meer gekommen; sie, die sich in der Kunstgeschichte bestens auskannte und in den Museen von Florenz und Venedig zu Hause war, kannte die heilige Maria nur im Singular. Karl hingegen dachte an die vielfältigen Marias in seinem Leben: Ástamama, Sigríður, Doreen Ash, Lotta … und seine Halbschwester Frída, ja …
Woran denkst du?, fragte Una, als sie Karls Marien-Miene bemerkte.
Ich denke meist an dich.
Das brauchst du nicht. Ich bin bei dir.
Entschuldige, dass ich so unpraktisch bin, ich denke trotzdem an dich, auch wenn du bei mir bist. Und sie hat direkt am Auge zugestochen.
Den glücklichsten Menschen der Welt blieb nichts anderes übrig, als auf dem schnellsten Wege nach Arles zu fahren und sich ärztlich behandeln zu lassen.
Es war peinlich, denn der Arzt und die Krankenschwester blickten Karl Ástuson und die Frau mit dem verquollenen Auge an, als hätte er sie geschlagen.
Die glauben, dass ich dich geschlagen habe, sagte er, und ihm war das unangenehm.
Sollen sie doch, wenn es ihnen Spaß macht, erklärte Una in verstocktem Ton, so als ginge das niemanden etwas an – genau wie eine Frau, die geschlagen worden war.
Karl und Una fuhren nie wieder nach Beausejour, nicht einmal, um im Herbst ihre grünen und dunkelvioletten Oliven zu pflücken. Noch vor Ende des Jahres verkauften sie das Schlösschen aus dem achtzehnten Jahrhundert an einen Mann, den sie noch nie getroffen hatten, von dem sie nicht einmal wussten, wie er hieß; Lotta hatte sich um die Transaktion gekümmert. Stattdessen kauften sie ein neues Schloss, ein neues Paradies zwischen Pyrenäen und Strand auf der französischen Seite. Sie nannten es Beaulieu, und dort verlebten sie neue Traumstunden. Auch dort trug Karl ein Märchen vor, das Una zu unterschiedlichen Zeiten gehört hatte, in Beausejour und in Reykjavík.
Das Mädchen hinter dem Schirm
Es war einmal ein elfjähriger Junge, der mit seiner Mutter in einem Eckhaus in der Stadtmitte wohnte. Sie war Schneiderin und unglaublich musikalisch. Er hatte auch eine Halbschwester, die ebenfalls recht musikalisch war. Er selber spielte auf dem Klavier im Wohnzimmer, und genau das tat er an einem Wintertag, wo es draußen heftig schneite; es ging auf Weihnachten zu. In diesem Eckhaus nähte die Mutter im Wohnzimmer hinter einem asiatischen Paravent, während ihr einziger Sohn auf dem Klavier übte, und zu dem Zeitpunkt der Geschichte war er schon recht geschickt auf diesem edlen Instrument. An diesem Wintertag war der Sohn der Schneiderin ganz in seinen Chopin vertieft, als plötzlich ein dickvermummtes Mädchen mit Schneeflocken auf der Mütze im Wohnzimmer stand. Er vermutete, dass sie in seinem Alter war, was sich später als richtig herausstellte.
Darüber erschrak der junge Pianist, und um nicht bei der Anprobe des Weihnachtskleids im Wege zu sein, wollte er sich in die Küche zurückziehen und ein Glas Milch trinken. Doch da geschah das Wunder, das vielleicht, alles zusammengenommen, eines der größten Wunder in seinem ganzen Leben war. Das Mädchen sprach ihn mit leiser Stimme an, aus der mit der Zeit ganz sicher ein Mezzosopran werden würde. Sie sagte: Spiel weiter. Der Junge war wie vor den Kopf geschlagen und bekam Herzklopfen. Er sah in das gütige Gesicht seiner Mutter, um die Bestätigung dafür zu erhalten, dass der Wunsch des Mädchens durchaus nicht abwegig war. Seine Mutter erklärte rundheraus, dass er ihnen nicht im Wege sei.
Der Sohn spielte also weiter, und anfangs verhaspelte er sich aus
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