Der gute Liebhaber
ich, die Güte in Person!
Doreen Ashs Praxis lag nur einen Steinwurf weit vom Zoo im Central Park entfernt, dem Lieblingsort von Karl Ástuson in der Stadt, die ihm während seines Studiums eine Stiefmutter geworden war, die ihn immer noch in ihrer kühlen Umarmung hielt, als er die Stelle in der Bank bekam und sich zu etablieren versuchte. Er war durch die Wege im Tiergarten geschlendert und hatte sich Affen, Schlangen und Pinguine angesehen, um zu vergessen und für eine Weile nicht traurig zu sein, nicht hilflos, der junge Mann, der für alle Zeiten seine Liebsten verloren hatte, Una und Ástamama.
Doreen Ash musste selber die Sprechanlage bedient haben, denn er wurde nicht nach seinem Anliegen gefragt, sondern sang- und klanglos eingelassen.
Sie erwartete Karl im siebten Stock beim Aufzug. Nicht nur das überraschte ihn, sondern auch die Tatsache, dass sie um mehr als die drei Jahre gealtert war, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, den sie wie ein Wachtposten ohne eine Bewegung oder ein Wimpernzucken entgegennahm. Sie strich ihm aber mit den Fingern über den Handrücken, so leicht und schnell, dass es kaum eine Berührung war – eine unverständliche Geste, die auch gar nicht zu Doreen Ash passte.
Genauso wenig stimmten ihr Büro und ihre Praxis mit dem Bild überein, dass er sich von Doreen Ash gemacht hatte. Hätte er eine Prognose abgeben sollen, wie ihr Sprechzimmer eingerichtet war, hätte er auf modernes Design getippt. Weiß und Chrom. Doch der Raum war ganz im Gegenteil in dunklen Farben gehalten, braun und weinrot, dunkles Parkett, eine alte Sitzgarnitur aus Leder und ein großer alter Schreibtisch aus Eiche. Afrikanische Masken an der Wand und eine ägyptische Katze auf dem Tisch. Aussicht auf den Central Park Zoo, den historischen Ort aus einem früheren Leben in der Stadt, an dem aber nie etwas geschehen war, außer dass er dort wieder zu sich selbst fand. Soweit das Una-los überhaupt möglich war.
Doreen Ash setzte sich hinter den Schreibtisch, und Karl Ástuson nahm ihr gegenüber Platz. Wie ein Kunde. Ein Patient. Sie schwiegen. Von draußen drangen durch das geöffnete Fenster schwache Tierlaute herein.
Ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass du kommen würdest, und du störst mich gar nicht, sagte Doreen Ash schließlich, obwohl sie nicht danach gefragt worden war, ob sie sich gestört fühlte.
Das freut mich, sagte Karl Ástuson. Ich konnte natürlich nicht wissen, ob du nicht mit Patienten beschäftigt wärst.
Meine Patienten stoße ich so allmählich ab, aber es sind immer noch zwei übrig, und die werden wohl auch bei mir bleiben, bis dass der Tod uns scheidet. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass ich mich nicht von ihnen trennen kann oder sie sich nicht von mir, aber so ist es nun einmal. Beides Männer selbstverständlich. Eingeschworene Muttersöhnchen und selbstverständlich auch Schwule im Schrank. Der eine lebt sogar noch bei seiner Mutter, aber er ist ja auch erst einundvierzig. Und ich bin immer noch zu keinem endgültigen Schluss gekommen, wer wen festhält, die Mutter ihn oder er sie, obwohl er schon sieben Jahre bei mir ist. Es ist mir wohl nicht bestimmt, dem auf den Grund zu kommen, zumal ich auch nicht daran glaube, dass man der Wahrheit über die Menschen auf den Grund kommen kann.
Merkwürdig.
Es bedarf einer langen Suche, um der Wahrheit über einen einzigen Menschen auf die Spur zu kommen.
Und woraus besteht dann deine Arbeit?
Ich höre, wie gesagt, auf.
Weil die Wahrheit über einen Menschen so unzugänglich ist?
Vielleicht spielt es nicht die wichtigste Rolle, wie kompliziert oder undurchsichtig diese Wahrheit ist. Man kann ein Arbeitsmodell über das Leben einer Person aufstellen und dann nur hoffen, dass die Projektion nicht allzu weit vom Original entfernt liegt. Und wenn dieses Arbeitsmodell der Person hilft, sich im Leben zurechtzufinden, dann ist es auf jeden Fall besser als nichts.
Therapie ist dann also so etwas wie Modellbau.
Meiner Meinung nach ja. Ein Modell von etwas, von dem wir nicht wissen, wie es ist. Man arbeitet im Nebel und tappt blind umher.
Es gibt noch andere, die ihre Arbeit so beschreiben. Irgendein Schriftsteller, wenn ich mich richtig erinnere.
Blinde haben einen guten Orientierungssinn.
Na schön.
Ganz abgesehen von der Wahrheit ist es immer gut und richtig, seine Probleme mit einem sogenannten neutralen Gegenüber zu besprechen. Mit jemandem, der kein Freund ist und nicht
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