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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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nachvollziehen, dass da sie beide beschrieben wurden, er und Doreen Ash, damals. Endlich hatte sie das Verfahren angewandt, wichtige Einzelheiten auszuklammern. Hier stand kein Wort darüber, dass sie ihrem Guten Liebhaber verbale und nicht besonders dezente Regieanweisungen gegeben hatte – und das eher zweimal als einmal.
    Nein, in ihrem Buch fielen während dieser Szene überhaupt keine Worte, es bedurfte keiner Worte. Alles war perfekt, und zwar ohne Worte. Hypersensibilität und Hingabe des Liebhabers wurden in schönen Worten ausführlich dargestellt – trotzdem wurde aber der Verdacht geäußert, dass er dabei an eine ganz andere Frau gedacht haben musste. Angeblich war es einfach ein Ding der Unmöglichkeit, eine wildfremde Frau von irgendeinem Sonnenfleck auf der Straße wegzuholen und sozusagen aus dem Stand heraus in der Lage zu sein, ihr derartig feinfühlig zum Höhepunkt zu verhelfen.
    Ja, was für eine Feinfühligkeit! Die Autorin war anscheinend jetzt mit ihrer Formulierungskunst am Ende und sah sich gezwungen, aus
Wem die Stunde schlägt
von Hemingway zu zitieren, wo beim Orgasmus die Erde bebt. Darauf folgte noch etwas Peinliches über eine Erleuchtung, eine Art religiöse Erfahrung.
    Nun ja, die Gute hatte seinerzeit allerdings ganz und gar nicht den Eindruck erweckt, irgendeine übersinnliche Erfahrung gemacht zu haben, als sie ihn nach beendetem Spiel rauchend durch die Brille musterte. Sie hatte sogar in seine Richtung gepafft, statt weg von ihm.
    Die Autorin blieb beim Themenbereich Orgasmus und tastete sich zum Hauptpunkt vor: Die Tatsache, dass Carl Söhnlein sich selber den Orgasmus versagte, bestärkte sie in ihrer Theorie, dass er an eine andere Frau dachte. Der Leser grinste sich eins, als die Autorin sang- und klanglos darüber hinwegging, dass sie selber vorgehabt hatte, ihn handgreiflich zum Orgasmus zu zwingen, nachdem anderes fehlgeschlagen war.
    Nun wandte sich Doreen Ash zeitweilig vom Akt der Liebe ab, und ein analytischer Diskurs bahnte sich an. Die Tatsache, dass der Gute Liebhaber sich den Orgasmus versagte, wurde in einen Topf mit der Liebe des reinrassigen Muttersohns zur Mutter geworfen – die Mutter war in allen Frauen, und man durfte den Inzest nicht durch einen Orgasmus vervollkommnen; denn dann bestand die Gefahr, ein Kind mit seiner Mutter zu bekommen.
    An diesem Punkt angekommen, hatte Karl Ástuson, Romanheld und Leser, die Schnauze endgültig voll. Jetzt würde er dieses Buch abservieren, und zwar ein für alle Mal. Doch bevor er den
Guten Liebhaber
zum allerletzten Mal zuklappte, musste er ganz schnell noch nachschauen, wie Doreen Ash mit dem Teil des Nachspiels verfuhr, wo es um das Rauchen ging. Ob sie ihre verfluchte Zigarette im Bett auch auf gedrucktem Papier rauchen würde. Nein, auf den ersten Blick schien das nicht der Fall zu sein. Sie hatte gut daran getan, das zu streichen.
    Der Leser stopfte das Buch über sich selber in seine Jackentasche und verließ ein Hotelzimmer, das so vollkommen unter seinem Niveau war, dass sich die Frau an der Rezeption unsichtbar zu machen versuchte, als er den Schlüssel ablieferte.
    Die Dunkelheit in der Stadt war nicht mehr lau. Und Karl Ástuson war nicht für kühles Dunkel gekleidet. Daran ließ sich aber nichts ändern. Niemand hätte sich mit einem Pullover über dem Arm bei warmer Frühjahrssonne auf einer Buchpräsentationsparty blicken lassen. Und das war nicht einmal gestern gewesen, sondern heute, obwohl es ihm so vorkam, als sei mindestens eine Woche vergangen, seitdem Doreen Ash in ihrem schwarz-weißen Kleid, das sie wie einen Filmstar aussehen ließ, ihre Ansprache gehalten hatte, von Bewunderung und Zuneigung umgeben. Bewunderung, die ihr zustand, denn sie war hochintelligent und letzten Endes auf ihre Weise auch ein guter Mensch.
    Mehr konnte man wohl nicht sein, als gut auf seine Weise. Gutsein ist das komplizierteste Phänomen der Psyche. Hier war allerdings einer guten und brillanten Frau der Fehler unterlaufen, ein belangloses Buch zu schreiben. Es war erniedrigend, sich einen Mann, mit dem man aus freien Stücken ein einziges Mal ins Bett gegangen war, vorzunehmen – und einen peinlichen Text zu verfassen, in dem dessen Seelenleben pseudowissenschaftlich in Atome zerlegt wurde. Um sich selber zu rechtfertigen, oder vielmehr, um sich selber hochzustilisieren. Aber so war das Leben, sogar große Geister, und das war Doreen Ash auch, ja, sogar die waren im Grunde ihres Herzens Kleingeister. Schoben

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