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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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UNERTRÄGLICH , dass Doreen Ash auf die absurde Idee gekommen war, seinem früheren Leben ein literarisches Denkmal zu setzen, diesem leeren und unbedeutenden Leben, auf das er genauso gut auch hätte verzichten können, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, indem er ihm ein Ende setzte – doch ironischerweise hatte er dadurch die Grundlagen für das Zukunftsmärchen mit Una gelegt. Ohne es zu wissen, aber vollkommen zielorientiert. Er hatte sich hart ins Zeug gelegt, reich und reicher zu werden. Für Una ein Paradies in Südfrankreich zu schaffen. Das Haus auf Long Island nach Unas Geschmack einzurichten, in ihren Farben – und dort hatte es acht Jahre lang bereitgestanden. Und dieser unbewusste Langzeitplan war aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz aufgegangen – und dann ausgerechnet jetzt diese Karambolage. Ein weiterer ausgesandter Spuk?
    Dahinter steckten (abgesehen von der Liebe) nicht wenig Groll und Rachsucht. Die hochgelehrte Autorin hatte da ganz schön viel Essig unter den Wein gemischt. Karl Ástuson glaubte sich ihr allerdings einen Schritt voraus, was einige Analysepunkte betraf. Sehr zu bezweifeln, ob Doreen Ash sich darüber im Klaren war, dass einiges von dem, was sie schrieb, unerhört peinlich für den Guten Liebhaber war – sogar das, was gut und schön gemeint sein sollte.
    Die Vaterschaft? Endlich fiel ihm ein, nach der Szene zu suchen, wo er tatsächlich darauf eingegangen war, beziehungsweise auf den mangelnden Vater – in dem Moment, als Doreen Ash sein Haus verließ. Er überblätterte hastig das Liebesspiel mit allem Drum und Dran, ebenso das Gespräch im Wohnzimmer und das Weitere bis zu der Stelle, als sie vor der Haustür stand. Und, ganz richtig, da kam es.
    Carl Söhnlein war also ein Mann, bei dem die Vaterschaftsangabe fehlte (verdammtes Luder!). Ein reinrassiger Muttersohn. Ein Narziss, der sich nicht wie das Original in einem Waldsee spiegelte, sondern in den Augen seiner Mutter, die er ganz für sich allein hatte. Niemand konkurrierte mit ihm um diesen Spiegel und auch nicht um die Mutterbrust. Hier war also der Narziss und Brustsauger, wie er im Buche stand, auf einer noch intensiveren und angestrengteren ewigen Suche nach der Mutter als andere Männer, deren Suche ja an und für sich schon tief und abgründig genug war. In einem Versuch, witzig zu sein, schrieb die Autorin:
Hier geht es nicht darum, in jedem Hafen eine Frau zu haben, sondern in jeder Frau eine Mutter
.
    Die Autorin Doreen Ash kam zu dem Ergebnis, es sei nur logisch, dass ein so reinrassiger Muttersohn wie Carl Söhnlein, ohne Vaterschaftsangabe, es als Liebhaber zu Höchstleistungen bringen konnte. Er war von Anfang an unbeeinträchtigt von irgendeinem Gedanken an Nebenbuhler. Er ruhte vollkommen in sich an der Brust seiner Mutter, er hatte nicht einmal eine entfernte Vorstellung davon, wer sein Vater war. Eine Vorstellung, die hinderlich hätte sein können. Er war in alle Ewigkeit verliebt in eine Frau, seine Mutter, und außerstande, sich in andere Frauen zu verlieben als sie – und der Schlüssel zu seinen Fähigkeiten als Liebhaber war, nicht im mindesten in sein Gegenüber verliebt zu sein, unbeeinträchtigt zu sein von störenden Emotionen, wenn er Frauen zufriedenstellte.
    Darauf folgte eine lange gelehrte Abhandlung, gewürzt mit Zitaten aus Publikationen der Autorin und anderer Wissenschaftler. Die Freud’sche Theorie von der Mutter als erstem und vielleicht auch einzigem Liebesobjekt des Knaben wurde des Langen und Breiten ausgewalzt.
    Die Autorin ging als Nächstes in aller Ausführlichkeit und in einem reichlich langatmigen Stil, den Karl nicht sehr literarisch fand (was er allerdings wohl auch nicht sein sollte), darauf ein, dass die reinste Form eines Muttersohns der vaterlose war – der nicht wusste, wer sein Vater war. Und dann kam der große Rundumschlag: Die Muttersöhne aller Zeiten wurden erst ganz allgemein Jesus Christus gegenübergestellt, und dann im Besonderen der vaterlose Muttersohn, denn selbstverständlich war Jesus ja auch vaterlos, er hatte keine Ahnung von seinem richtigen Vater. Die Vaterschaft war ein derartig großes Geheimnis, dass er der Sohn einer Mutter war, die Jungfrau sein musste, auch wenn eine Zeugung stattgefunden hatte, ja, sogar nach einer Geburt noch Jungfrau – und das alles nur, um die anrüchige und erotische Beziehung zwischen Mutter und Sohn zu kaschieren und die Art und Weise, wie eine Mutter enttäuschte Liebe und einen untauglichen Ehemann

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