Der gute Liebhaber
(was konnte denn der arme Zimmermann Josef dafür?) kompensierte, indem sie das Söhnchen zum ewigen Schnuckel und zum Ersatzliebhaber machte. An dieser Stelle zitierte Doreen Ash eine Szene aus der Kurzgeschichte
Judas
von Frank O’Connor, wo die Mutter direkt mit der Freundin kämpft und schließlich den Sieg davonträgt, den verweinten Sohn mit den logischen und vielsagenden Worten an sich drückend:
«My little man.»
Carl Söhnlein alias Karl Ástuson sprang vom Bett auf und schleuderte den
Guten Liebhaber
in die Ecke. Er starrte das ramponierte Buch auf dem braunschimmeligen Teppich an, hob es dann auf und vollendete diese Aktion mit dem Herausreißen der signierten Titelseite. Er zerfetzte sie, warf die Schnipsel in die Toilette und spülte sie hinunter. Das Exemplar selber würde er auf dem Nachhauseweg in einer wohlgewählten Mülltonne entsorgen. Er hatte nicht vor, dieses Buch durch ein neues Exemplar zu ersetzen, und das vorhandene würde er außerhalb der Wände dieses öden Containers von einem Hotelzimmer nie wieder öffnen – doch es war ein passender Ort gewesen, um sich durch einen Haufen Schwachsinn über sich selber hindurchzuarbeiten, den eine verzweifelte Autorin aus tiefer Unkenntnis der Materie, nicht zuletzt des Gefühlslebens ihres Protagonisten Karl Ástuson, zusammengekliert hatte.
Karl Ástuson blickte auf das Buch über Doreen Ash und Karl Ástuson. Er blickte auf seine Schuhe neben dem Bett. Sollte er sich jetzt die Schuhe anziehen und nach kurzem Zwischenstopp bei einer Mülltonne direkt nach Hause fahren, oder sollte er noch einen letzten Blick auf das Geschreibsel werfen? Selbstredend kitzelte ihn die Neugier, wie sie mit dem Liebesakt verfahren würde. Würde sie obszön werden? Oder sentimental? Würde sie alles genau so beschreiben, wie es sich abgespielt hatte, oder würde sie sich endlich Abweichungen erlauben? Sich ihrer Phantasie bedienen? Nein, unmöglich, die fehlte ihr nämlich vollkommen. Das ganze Buch legte Zeugnis von einer beklagenswerten Phantasielosigkeit ab. Oder hatte sie vielleicht ihren ganzen Ehrgeiz dareingesetzt, der Realität absurd genau auf den Grund zu gehen, indem sie sie nacherzählte? Genau das war nämlich dieses Buch, eine einzige verdammte Nacherzählung. Mit wissenschaftlichen Klischees, die wie Ausflüchte wirkten. Und daraus konnte man nur den Schluss ziehen, dass Doreen Ash sich besser an ihre Wissenschaft gehalten hätte. Auf den Schienen einer akademischen Achterbahn hätte sie vielleicht doch etwas mehr Höhenflug erreichen können.
Zähneknirschend setzte sich Karl Ástuson wieder aufs Bett, er konnte seine Neugierde nicht bezähmen. Was für ein Liebhaber war er dann, dieser Gute? Am besten machte man sich da kundig. Er blätterte vor bis zum ersten Kuss.
Er streichelte meine Schulter, und meine Seele wurde angerührt.
Also, das war ja nun völlig daneben. Wenn er die Schulter einer Liebhaberin streichelte, galt das nicht ihrer Seele, sondern der Schulter. Ihm, der seiner alleinigen Liebe und seines Lebens beraubt worden war, war es um nichts anderes zu tun gewesen, als sich auf Umwegen in Richtung Liebe und Leben vorzutasten; und auch, wenn Liebe und Leben sich weiterhin gleich fern hielten, bekam er doch mit einer Liebhaberin für ein paar Stunden Bodenkontakt. Stand ihm das nicht zu?
Er streichelte meine Schulter, und meine Seele wurde angerührt.
Er befahl sich selber, dieses perverse Buch zu schließen, war aber zu neugierig, um zu gehorchen. Zumal sie jetzt endlich so etwas wie schriftstellerisches Talent an den Tag legte. Sie hatte endlich damit aufgehört, den Leser mit Klischees zu bombardieren. Hier klang ihre Schilderung aufrichtig, sie war zu guter Form aufgelaufen. Allerdings steigerten sich nun die Ängste des Lesers. Er überflog die Zeilen so schnell, als säße ihm der Teufel im Nacken, immer darauf achtend, nicht bei irgendetwas zu verweilen, was sich ihm unter gar keinen Umständen einprägen durfte.
Karl Ástuson verstand weder da noch später, wie er sich der Versuchung hatte entziehen können, stolz auf sich selber und seine Leistung beim Liebesspiel zu sein. Im Buch stand klipp und klar: Der Gute Liebhaber war nicht nur ein guter Liebhaber, er war ein traumhafter Liebhaber, genau der Mann, von dem Frauen träumen. Und es wurde lang und breit ausgewalzt, wovon Frauen träumten. Da wusste er es.
Mit wachsendem Erstaunen las er, wie sich das Liebesspiel weiterentwickelte. Zeitweilig konnte er gar nicht
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