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Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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fest.
    »Ich warte auf ein Zeichen von dir«, sagte er.
    Schon bevor sie ging, gab er ihr das Versprechen, sie völlig in Ruhe zu lassen, wie er es ihr geschworen hatte. Er machte es sich zur Pflicht, sich fernzuhalten, sie nicht zu besuchen, obwohl sie nur sechs Autostunden entfernt wohnt. Sich nicht einzumischen oder nach Informationen zu suchen. Zu schäkern und zu flirten, ja, zu plaudern und Fachgespräche zu führen; doch nach dem Kind würde er sich nicht erkundigen, und er würde niemals Druck ausüben. Er würde loslassen, und er würde weiterziehen.
     
    Er ruft sie an.
    »Dr. Michaels.«
    »Dr. Michaels«, sagt er lächelnd.
    Sie stößt ihr rauchiges Lachen aus: »Du bist es wieder.«
    »Gibt es jemand anderen?«
    »Jemanden wie dich nicht.«
    »Ist das eine Abfuhr oder ein Kompliment?«

    »Beides.«
    »Ah, die alte Ambivalenz.«
    »Du hast mich nicht angerufen, damit ich dich schikaniere. Was ist los?«
    »Ich habe ein Ticket nach Chicago gekauft. Wo wirst du wohnen?«
    »Im Hilton. Ich komme am Freitag an.«
    »Ich komme am Freitagabend.«
    »Gut.«
    »Ich treffe dich unten in der Tiki-Bar, in der Ecke mit der Plastikpalme, gegenüber der hölzernen Hulatänzerin.«
    »Bist du häufiger im Hilton?« »Letztes Jahr war dort eine Konferenz. Nach zwei Vorträgen musste ich die Flucht ergreifen. Du weißt, wie das ist. Zwei Wissenschaftler in ein und demselben Raum saugen sofort den ganzen Sauerstoff auf. Einer sagt Paradigma, und der andere sagt qualitative Datenanalyse. Jeder vernünftige Mensch wird vom Wunsch nach Selbstmord übermannt und versucht, Reißaus zu nehmen …«
    »In die Tiki-Bar?«
    »Auf etwas weniger Elegantes würde ich mich nicht einlassen, das weißt du.«
    »In Ordnung. Abgemacht.«
    »Wenn du das trägerlose kleine Schwarze trägst, gehen die Getränke auf mich.«
    »Wir gehen nicht miteinander ins Bett.«
    »Wird das Bett dann zu uns kommen?«
    »Hör auf. Die Situation mit meinem Mann ist heikel. Sein Zustand verschlechtert sich.«
    »Ich verstehe.«
    »Und du wirst keine Anstalten machen.«

    »Ich werde alle Anstalten machen.«
    »Es wird dir nicht gelingen.«
    »Der Prozess ist wichtig, ungeachtet des Ergebnisses, frag einfach Schacter.«
    »Mach, dass du nach Hause kommst.«

11
    H eute Abend werden wir über eine unter jungen Therapeuten weitverbreitete Ungenauigkeit diskutieren«, verkündet er den Studenten: »Geistige Gesundheit – insofern es so etwas wie geistig und so etwas wie Gesundheit überhaupt gibt – ist kein Ziel, sondern ein Prozess. Der davon handelt, wie man fährt, nicht wohin man fährt. Der Therapeut gleicht einem Fahrlehrer, nicht einem Chauffeur.«
    In der zweiten Reihe vor ihm kichert das Mädchen mit den leuchtend pinkfarbenen Haaren und beugt sich vor, um Jennifer etwas ins Ohr zu flüstern.
    Er wendet sich an sie: »Wie ich zu Anfang dieses Kurses anmerkte, ist alles, was hier gesagt wird, intellektuelles Eigentum der ganzen Gruppe. Wollen Sie uns also freundlicherweise sagen, was so lustig ist?«
    Das pinkhaarige Mädchen wirft ihm einen schuldbewussten Blick zu: »Sie haben so merkwürdige Beispiele für alles«, sagt sie schließlich.
    Der Psychologe nickt. »Das Grundprinzip«, sagt er, »hier im Klassenzimmer wie dort im Sprechzimmer lautet: Ohne ein Beispiel, um eine Aussage zu illustrieren, gibt es keine Aussage. «
    »Können Sie diese Aussage illustrieren?«, fragt Eric.
    Der Psychologe lächelt und fährt fort: »Therapie ist in erster Linie ein sprachlicher Akt. Sprache ist von Natur aus symbolisch: Das Wort Baum sieht weder aus wie ein Baum, noch
klingt es wie einer. Und Sprache ist metaphorisch: Wenn Eric zu seiner Freundin sagt: Ich habe dir mein Herz geschenkt, und du hast es gebrochen …«
    »Das ist das Vokabular der alten Schule, Professor«, sagt Eric. »Ich gehe ein bisschen zeitgemäßer vor, wissen Sie?«
    »Natürlich, aber hören Sie zu, was ich sage«, erklärt der Psychologe. »Ein solcher Satz ist wörtlich genommen Unsinn. Sie haben ihr Ihr Herz nicht geschenkt, und sie hat es Ihnen nicht gebrochen. Und dennoch ist Ihre Freundin weder verwirrt noch hat sie etwas daran auszusetzen. Sie weiß genau, was Sie meinen und ist ganz angetan von Ihrer überraschenden Eloquenz alter Schule. Sprache ist symbolisch und metaphorisch, und so entsteht die Bedeutung eines jeden Worts, eines jeden Objekts, aus der Verbindung mit anderen Wörtern und Objekten. Ein einzelnes Objekt, wie ein einzelnes Wort, wie eine einzelne Ameise, hat

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