Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
Ausdruck zu bringen, verbessern. Nicht solche, die das verhindern.«
Ihr Blick ist eine wortlose Frage.
»In den letzten zwei Wochen sind Sie zu spät zum Unterricht erschienen oder überhaupt nicht«, sagt er.
»Ich weiß«, sagt sie und setzt sich auf ihrem Stuhl gerade. »Ich habe Stress zu Hause …« Ihre Stimme zittert und bricht; sie schluckt und schweigt. Tränen kommen. Sie versucht, sie zurückzuhalten, beißt die Kiefer zusammen und drückt die Bücher an ihre Brust. Er wartet.
»Sie müssen mir nichts erklären«, sagt er schließlich. »Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass es mir aufgefallen ist. Und dass ich willens bin … ich möchte Ihnen helfen, so gut ich kann.«
Er hält inne und wartet.
»Ich habe mich verrannt«, sagt sie plötzlich. »Irgendetwas ist mit mir passiert. Verstehen Sie, Professor, schon in jungen Jahren wusste ich immer, was ich wollte, ich war mir über meine Ziele im Klaren. Ich bin ein Einzelkind. Meine Eltern haben knapp die Highschool abgeschlossen. Aber sie haben geschuftet, um mir alles bieten zu können, mir eine Chance zu geben. Ich war immer eine gute Schülerin. Ich brachte immer gute Noten nach Hause. Nur Einsen. Als Kind erinnere ich mich, dass mein Vater oft zu meiner Mutter sagte: Wir ziehen hier eine Ärztin groß, eine Astronautin, und dabei hat er gestrahlt. Er nahm mich immer auf den Arm und ließ mich durch die Luft fliegen. Zum Mond, zum Mond, hat er dann gerufen. In der Highschool habe ich Advance-Placement-Stunden genommen, ich war Cheerleaderin. Ich war in der Schülermitverwaltung. Ich wollte an eine große Universität gehen, aber meine Eltern bestanden darauf, dass ich mich hier einschreibe, näher an zu Hause. Und ich verstehe sie. Ich habe sie verstanden. Auf der Highschool habe ich Justin kennengelernt. Jennifer und Justin, sagen alle, ihr seid füreinander geschaffen. Sogar eure Namen passen zueinander. Er war Sportler. Ein Star. Er hatte eine Unmenge weiblicher Fans, aber er hat mich gewählt. Nach drei Verabredungen hat er mir gesagt, ich sei die Liebe seines Lebens. Und ich, ich wollte ihn auch. Ich liebe ihn. Wir passen perfekt zusammen. Er hatte einen jüngeren Bruder, der im Irak gestorben ist. Das war sehr schwer für ihn. Er musste schnell erwachsen werden. Gleich danach einigten wir uns darauf zu heiraten. Er fuhr in seinem Pick-up mit mir an den See« – sie streckt die Hand aus – »und schenkte mir diesen Ring. Ein echter Diamant. Ich sagte Ja, natürlich. Ich war auf Wolke sieben. Und jetzt planen wir unsere Hochzeit. Er
will eine große Hochzeit. Große Liebe, große Hochzeit, sagt er. Nach der Highschool ist er ins Geschäft seines Vaters eingetreten, im Baugewerbe. Sein Vater wird eines Tages in Rente gehen, und Justin wird das Geschäft übernehmen. Ich werde meinen Abschluss machen und Grundschullehrerin werden. Ich habe Kinder immer geliebt. Er möchte vier Kinder. Große Liebe, große Familie, sagt er. Wir haben schon die Namen ausgesucht: Josephine oder Jody für ein Mädchen, Jack oder Jimmy für einen Jungen. Es ist komisch, wir haben so viel vorausgeplant, und wir hatten noch nicht einmal Sex. Ich war dazu bereit, aber er hat darauf bestanden, dass wir damit warten. Große Liebe, große Disziplin, sagt er.«
»Ich verstehe«, sagt der Psychologe. »Und in den letzten zwei Wochen, die Unpünktlichkeit?«
»Ah, in letzter Zeit, ja, plötzlich habe ich Anfälle von Angst. Wissen Sie, plötzlich fing ich an zu denken, was machst du da? Du bist noch ein Kind. Du hast noch nichts gesehen; du hast noch nichts getan. Ich fühle mich wie auf einem Fahrrad, das den Berg hinunterrast. Ich habe schnell getreten, und anfangs hat es Spaß gemacht, aber plötzlich ist aus dem Spaß Schrecken geworden, vielleicht nicht ganz und gar, aber zumindest damit vermischt, und es ist, als könnte ich nicht anhalten. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt anhalten möchte. Und in Ihrem Unterricht ist irgendetwas mit mir passiert; ich fing an nachzudenken … ich empfinde gewisse Dinge. Es ist anders als in anderen Unterrichtsstunden. Verstehen Sie, sogar diese Fahrradmetapher, woher kommt die? Ich denke normalerweise nicht so. Ich bin sehr praktisch, stehe mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Aber sehen Sie, ich habe etwas gelernt. Es gab einen Moment …« Ihre Stimme verliert sich.
»Einen Moment«, sagt er.
»Erinnern Sie sich, als Sie im Unterricht einen Schriftsteller erwähnten, Wasser, irgend so etwas?«
»Robert
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