Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
Ihr Boss, Bora, hat durch mich von Michelle erfahren; ich habe mich versprochen.«
»Versprochen? Wie meinen Sie das? Wie … wann? Wie kamen Sie dazu, über Michelle zu sprechen?«
»Wir haben nicht direkt über sie gesprochen, aber als er hier in der Praxis war, sagte er, er habe den Verdacht, Sie seien gar nicht krank, sondern suchten nach einer Möglichkeit auszusteigen. Ich sagte ihm, dass wir an einem echten Problem arbeiteten und dass Ihre Zukunftspläne nicht meine Sorge seien, dass Sie das Recht hätten, mit Ihrem Leben zu machen, was Sie wollten, und über die Gegenwart hinauszudenken, auch über sich selbst hinaus. Ich fürchte, er hat diesen Hinweis aufgegriffen, was dazu geführt hat, dass er Sie ausspionierte.«
»Wann ist Ihnen das aufgefallen?«, fragt sie mit gerunzelter Stirn.
»Vor zwei Wochen.«
»Warum haben Sie mir nichts davon gesagt?«
»Ich brauchte Zeit, um darüber nachzudenken und zu entscheiden, wie ich reagieren solle, was für die Behandlung das Richtige ist, welche Vorgehensweise für Sie die hilfreichste ist; und ich habe auch an mich selbst gedacht, an das Risiko, einen professionellen Fehler einzugestehen.«
»Und warum haben Sie sich entschlossen, es mir zu erzählen?«
»Ich habe entschieden, dass Sie das Recht haben, die Wahrheit darüber zu erfahren, was passiert ist, und in diesem Kontext auch die Wahrheit über mich, sodass Sie in voller Kenntnis der Fakten über Ihre nächsten Schritte entscheiden können.«
Sie sieht ihn an, ernst und nach vorn gebeugt; sie zupft an einer Haarlocke, die sich an ihrer Schläfe ringelt. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen, und das obere wippt unablässig auf und ab und hält unvermittelt inne. »Danke«, sagt sie.
»Danke?«
»Ja. Sie haben mich verletzt, Doktor; Sie haben mich mit dieser Sache in Schwierigkeiten gebracht. Aber ich habe das Gefühl, dass Sie es mir nicht gesagt hätten, es nicht gestanden hätten, wenn Sie mir nicht vertrauen würden, wenn Sie nicht dieses Vertrauen hätten, wenn Sie sich nicht meinetwegen Gedanken machen würden.« Ihre Schultern beben. Tränen. »Ein Geschenk«, sagt sie leise. »Ich habe das Gefühl, Sie haben mir ein Geschenk gemacht. Ich werde Sie nicht enttäuschen.« Hinter einem Vorhang aus Tränen wird ein Lächeln sichtbar, dankbar und wissend, etwas, das er so auf ihrem Gesicht noch nie gesehen hat.
Er nickt. »Ich verstehe«, sagt er, »und ich weiß Ihr Gefühl zu schätzen, gleichzeitig ist es mir aber wichtig, Sie daran zu erinnern, dass es bei unserer Arbeit hier nicht um mich geht, sondern um Sie. Ob Sie mich enttäuschen oder nicht, ist keine Frage, die Sie kümmern sollte. Ihre Entscheidungen müssen von Ihren eigenen Interessen gelenkt werden, von Ihren Bedürfnissen, Ihren Werten und Zielen. Um mich brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Sie müssen mich nicht beschützen.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Ich muss nicht. Ich habe mich so entschieden. «
39
E ine Woche später ruft Nina an. »Danke, dass du letzte Woche bei unserem Gespräch nicht überreagiert hast«, sagt sie.
»Danke, dass du zurückgerufen hast. Es hat mir geholfen.«
»Wie hast du dich entschieden?«
»Ich habe es ihr erzählt.«
»Und ihre Reaktion darauf?«
»Gut. Sie hat es als ein Zeichen meines Vertrauens in sie aufgefasst. Der Kreis schließt sich gewissermaßen, könnte man sagen.«
»Du hast richtig gehandelt, mit moralischem Mut.«
»Angesichts des Ergebnisses scheint das derzeit der Fall zu sein. Auf lange Sicht, wer weiß?«
»Auf lange Sicht sind wir alle tot. Sagst du das nicht immer?«
»Du hörst also doch zu.«
»Wir müssen darüber reden, was passiert ist.«
»Ja.«
»Persönlich.«
»Einverstanden.«
»Auf halber Strecke zwischen uns gibt es eine Kleinstadt, Bloomville; eine Ampel, eine Tankstelle. Wir treffen uns dort zum Mittagessen.«
»Anders als das Hilton.«
»Völlig anders.«
»Ich komme.«
40
W enn Sie auf die Bühne zurückwollen, müssen Sie sich Ihrer Angst im wirklichen Leben stellen.«
»Im wirklichen Leben?«
»Ja. Sie haben zu Hause geübt. Sie wissen, dass die Symptome der Angst in Ihrem Körper zwar furchteinflößend, aber nicht gefährlich sind. Jetzt müssen Sie sich Ihrer Angst direkt stellen. Der einzige Weg, die Angst zu bezwingen, das wissen Sie bereits, ist, sie zu überwinden. Vermeidung, Tricks, Unterdrückung und Ablenkung werden nicht funktionieren. Sie müssen Ihre Angst akzeptieren, sie
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