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Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas, und seine Stimme kehrt zurück. »Ich wollte dich oder Billie nicht verletzen. «
    »Lass uns offen sein miteinander«, sagt sie. »Ich brauche an dieser Stelle Klarheit. Verstehst du, ich ziehe Billie groß. Ich bin in einer ganz bestimmten Situation. Ich kann nicht jeden Tag über meine Schulter schauen, ob da jemand ist. Wir haben damals nicht darüber nachgedacht, und bis du aufgetaucht bist, habe ich eigentlich überhaupt nie darüber nachgedacht; aber seitdem bin ich in Aufruhr. Ich habe meinen inneren Frieden verloren.« Ihr Gesicht rötet sich, und ihre Stimme bricht. »Ich habe keinen festen Boden unter den Füßen, kein Gesetz im Rücken. Du kannst deine Vaterschaft jederzeit einklagen, du kannst alles zerstören …«
    »Nein, nein«, er beugt sich zu ihr, gleichzeitig besorgt und gekränkt, »ich habe nie daran gedacht, das zu tun. Ich denke nicht so. Du kennst mich. Schau mich an, ich bin es.«

    »Es ist Jahre her«, sagt sie, »kennen wir einander? Wie gut kennt man jemanden überhaupt?«
    Er ist bestürzt, ihr Misstrauen dringt in sein Inneres, umfängt ihn, wird Teil von ihm.
    »Und was ist mit mir?«, fragt er unerwartet. »Was ist mit mir? Jeden Tag bin ich jedermanns Daddy, für die Studenten, die Klienten; und meine eigene Tochter …« Seine Stimme bricht, seine Augen füllen sich mit Tränen, er wischt sie mit dem Handrücken ab, eine Bewegung, die er in der Klinik tausendmal gesehen hat. »Ich empfinde echte Sehnsucht.« Seine Stimme wird lauter und kommt von einem reinen Ort; er schlägt sich mit der Hand auf die Brust. »Und du reagierst, als wäre ich eine geheime Gefahr. Schau mich an, versetz dich an meine Stelle, nachts sehe ich Gespenster, ich höre Stimmen.« Er hält die Tränen zurück. »Es ist kein Verbrechen, weißt du, kein Verbrechen, sie ist auch mein Kind, sie ist mein Fleisch und Blut, nicht wahr? Du kannst mich nicht ausschließen. Ich habe es versprochen, ja, aber was heißt das schon? Wer wird mich verurteilen? Und du, worum geht es dir eigentlich? Was hast du vor? Hast du dir nicht meine Hand auf die Brust gelegt? Wer bist du inzwischen? Warum hast du eigentlich aufgegeben? Warum?«
    Sie schweigt.
    Tränen.
    »Du hast recht«, sagt sie plötzlich.
    Er lehnt sich verwirrt zurück, unsicher, welche seiner zahlreichen Behauptungen dieses Urteil hervorgerufen hat.
    »Ich habe mich nicht korrekt verhalten«, sagt sie. »Es ist nicht dein Fehler. Und ich möchte, dass du das weißt«, sie beugt sich vor, wischt sich über die Wangen, »ich werde niemals gegen dich kämpfen. Ich werde in dir immer meinen Geliebten sehen,
niemals meinen Feind. Und ich laufe nicht weg. Ich ziehe um, um meinem Mann zu helfen. Mein Mann ist sehr krank. Verstehst du?«
    Er sitzt wortlos da.
    Sie steht auf und schultert ihre Tasche. »Ich muss jetzt gehen; du wirst dich verhalten, wie du es für richtig hältst. Denk einfach an Billie.« Sie geht ein paar Schritte in Richtung Tür, dann hält sie inne und dreht sich zu ihm um. »Denk einfach an deine Tochter.«
    Sie stößt die Tür auf und geht hinaus.
    »Geh nicht«, flüstert er, und dann sagt er: »Gut, ich zahle.«
    Er holt tief Luft, und beim Ausatmen, noch bevor seine Lungen geleert sind und er die Hände gehoben hat, um seinen Kopf aufzustützen, weiß er, dass er kapituliert hat.

42
    D er Psychologe bleibt an diesem Morgen zu Hause und wartet auf den Klavierstimmer. Um elf taucht der Klavierstimmer auf, seinen kränklich aussehenden Sohn im Schlepptau. Er bringt die alten Eingeweide des Klaviers, die jetzt gereinigt und stramm gespannt sind. Er betritt das Wohnzimmer, kniet sich auf den Fußboden und rollt das Zeitungspapier auseinander, in dem die Tasten in jungfräulichem Weiß schimmern und einen anflehen, sie zu berühren. Der Klavierstimmer summt fröhlich vor sich hin, streicht über seine Werkzeuge und legt sie der Reihe nach auf dem Fußboden aus. Seine Freude, die Freude eines Handwerkers über sein Können, strahlt auf das Zimmer ab, dringt in den Teppich, muntert die auf dem Fenstersims dahinsiechende Pflanze auf, prallt jedoch ab von seinem Sohn, der in der Ecke lehnt. Der Klavierstimmer nähert sich dem Klavier, wischt mit einem Tuch darüber, schlägt den Deckel auf und hantiert darunter herum. Er ruft aufgeregt seinen Sohn zu sich. Der Sohn nickt matt. Der Klavierstimmer wirft ihm einen verzweifelten, bittenden Blick zu. Seine Schultern sacken ein, und er wendet sich wieder seiner

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