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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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bisweilen notgedrungen heiraten mussten. Sie hatten konspirative Spitznamen, Abkürzungen damals bedeutender Familiennamen wie »Kusja« oder »Kapa«, welche die Atmosphäre eines geheimnisvollen elitären Gefühls schufen, das ihren Dünkel, ihre Lüsternheit und Dumpfheit bemäntelte. Ich kam selten mit ihnen in Berührung, fand sie dann aber interessant, weil ich durch sie in die kleinen Geheimnisse der Machthaber eindrang, aus dem Augenwinkel ihre Väter sah, die im Urlaub gerne ordentlich »Karten kloppten« und sich amerikanische Actionfilme ansahen, die dem großen Publikum verboten waren. Etwas näher bekannt war ich mit der Familie des obersten Parteibeamten für Kultur, Wassili Schauro, eines Weißrussen mit traurigem Gesicht, der auch der Zeitschrift Nowy mir den Garaus gemacht hatte, aber lange Jahre in deren leidenschaftliche Leserin verliebt war – meine Mutter – und sogar an sicherem Ort Haarklemmen von ihr aufbewahrte. Mama hielt Schauro gnadenlos für einen »Ignoranten«, empfing ihn aber bei uns zu Hause. Auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer sitzend, betrachtete er die Reproduktion eines Bildes von Salvador Dalí mit der entblößten Gala.
    »Wie kann man nur seine eigene Frau nackt darstellen!«, empörte sich Schauro und klappte das Album zu.
    Es war klar, dass auch ein Schauro (der mir deutlich zu verstehen gab, dass er, falls ich in die Partei einträte, mich zum Kommandieren der Kultur in seine Abteilung aufnehmen würde) mir nicht helfen konnte, meine Erzählungen zu veröffentlichen. Ich sah ihn mit unschuldigen, freundschaftlichen Augen an und stellte mir die Reaktionen der Machthaber auf meine »Bombe« vor. Ich wusste, dass man mit denen nur von einer Position der Stärke aus reden konnte, und suchte sorgfältig nach diesem Hebel. Und ich fand ihn – es wird ein Almanach »verschmähter Literatur« sein, Texte, die von der sowjetischen Zensur verboten waren, eine Auswahl nach dem Prinzip: »Seht her, was sie nicht drucken! Seht her, wovor sich die Staatsmacht fürchtet!« Das war der unverhohlene Wunsch, die Staatsmacht in nackter Gestalt vorzuführen.
    Den Begriff »Zensur« verstehe ich im weitesten Sinne. In die Vorzensur wurde jedes Druckwerk mit mehr als zwanzig Exemplaren gegeben. Aber die Zensoren belegten Publikationen selten mit einem Verbot. Sie wurden schon in den Redaktionen »verhackstückt«, weil man wusste, dass man seine Arbeit verlor, wenn man »Staatsgefährdendes« durchließ. Die Redakteure sahen einen mit flehendem Blick an. Du willst doch nicht meinen Kindern ihr Stückchen Brot wegnehmen! Die Sowjetmacht verstand es, ihre Leute zu lenken.
    In den siebziger Jahren hatte jedoch bereits der Zerfall der Staatsmacht eingesetzt, es war eine trübe Zeit, die Forderungen waren undurchsichtig. Als ich mein Manuskript über Marquis de Sade brachte, wusste niemand, wer das war. Es wurde abgelehnt. Ein Jahr später brachte ich denselben Text, ohne ein einziges Wort verändert zu haben. »Schon besser«, sagte man bei der Zeitschrift, da man sich an de Sade schon etwas gewöhnt hatte, und verlangte von mir, noch etwas über die Rolle des Sadismus in der bürgerlichen Kultur zu schreiben. Nach einem weiteren Jahr brachte ich ihnen wieder denselben Text. »Na bitte«, sagte man bei der Zeitschrift, »so geht’s.« Ich hatte als Loyalitäts-Emblem ein Engels-Zitat hinzugefügt, das weder mit Kommunismus noch mit de Sade etwas zu tun hatte – und der Text wurde gedruckt. Am nächsten Morgen erwachte ich als »in engen Kreisen« berühmter Mann. Ich erkannte: Ein Spielfeld existiert, es ist zwar klein, aber immerhin. Ein kluger Text über ein unbekanntes Thema brachte die Redaktion aus dem Konzept. Mit diesem Gedanken schrieb ich über Schestow. Später, Ende der achtziger Jahre, hatte ich mit westlichen marktorientierten Redaktionen zu tun und überzeugte mich davon, dass man dort nicht mit flehendem Blick angesehen wird. »Unsere Leser halten sich für klug«, sagte der Chefredakteur der »klügsten« New Yorker Zeitschrift entschieden zu mir, als er mein Material ablehnte. »Wenn sie Sie lesen und nicht verstehen, werden sie nicht von sich selbst, sondern von unserer Zeitschrift enttäuscht sein und uns nicht mehr kaufen.«
    *
    Als Erfinder der »Bombe« sah ich deren Zusammensetzung in einer explosiven Mischung aus liberalen Schriftstellern und Dissidenten. In einem unzensierten Almanach liberale Autoren, die wie der Dichter Andrej Wosnessenski im ganzen Land bekannt waren

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