Der gute Stalin
unterschrieb – das Dokument ging zurück zum KGB (offenbar zur Unterschrift an andere Mitglieder des Politbüros, dann an Breshnew und schließlich zur Ausführung).
»Na, dann!«
Wir tranken noch einen, und ich war wieder stocknüchtern. A. K. und ich hatten im selben Haus am Leninski-Prospekt gewohnt, das der Wohnungsbaukooperative des Außenministeriums gehörte. Ich kannte ihn nicht. Wir begegneten uns manchmal am Hauseingang, wenn er von der Arbeit kam. Trotz meiner antisowjetischen Tätigkeit, über die das ganze Haus Bescheid wusste, machte ich einen friedlichen Eindruck. Ich ging mit meinem Sohn spazieren, der zu dieser Zeit ein ebenso passionierter Dreiradfahrer war wie ich in meiner Kindheit. An jenem Abend, als er von der Arbeit nach Hause kam und wusste, was mit mir in den nächsten Tagen geschehen würde, rief ich ihm, der am Lift stand, zu:
»Moment!«
Das Dreirad in der einen Hand. Oleg halte ich an der anderen. Ein komischer Anblick.
»Danke. Könnten Sie den siebten für mich drücken?«
Das wusste er auch so. Der Lift setzte sich in Bewegung. A. K. dachte gequält: Ich muss es ihm sagen. Dass der Junge nicht noch einen Blödsinn macht, womöglich Widerstand leistet. Es wird alles nicht wehtun und nicht lange dauern – nur eine Nacht. Dann ins Flugzeug, man nimmt ihm die Handschellen ab, Frankfurt, Freiheit, ein neues Leben. Womöglich stürzt er sich noch aus dem Fenster? Was kann nicht alles bei der Verhaftung passieren. Der Lift hielt im siebten Stock.
»Auf Wiedersehen«, lächelte ich freundlich und zog Oleg hinter mir her. Das Dreirad blieb in der Tür hängen. Ich zerrte es heraus. »Mist!«
A. K. nickte. Ich verließ den Lift.
»Entschuldige.«
»Schon gut.«
Draußen kreischten die Papageien.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich gequält habe … Ich habe dich gesehen und konnte nicht verstehen, warum du noch da warst, warum man dich nicht hinauswirft …«
»Sascha, trinken wir«, sagte ich. Ich spürte, dass ich besoffen war.
*
Als Verräter meiner Klasse gab man mir beim KGB den Spitznamen »Voland« – dafür kann ich ihnen im Nachhinein nur danke schön sagen. Natürlich waren meine damaligen Qualen lächerlich im Vergleich zu der Hölle, durch die Anatoli Martschenko oder Andrej Sacharow gehen mussten. Ich wurde nicht in Lagern durchgeprügelt oder bei einem Hungerstreik zwangsernährt. Aber in jenem Jahr begriff ich das Wesen der Gesellschaft, in der ich damals lebte, den moralischen Stoff der Menschen, die Niederträchtigkeit und Feigheit der einen und den Edelmut der anderen, wie ich es sonst im ganzen Leben nicht begriffen hätte. »Die Erzählungen von Jerofejew zum Beispiel«, schrieb in der Zeitung der ziemlich liberale Schriftsteller Grigori Baklanow, der später ein Freund der Perestroika wurde, »haben mit Literatur überhaupt nichts zu tun.« War es möglich, dass ein anerkannter Schriftsteller nicht verstand, welche wütenden Maßnahmen gewisser Organisationen dergleichen Aussagen nach sich ziehen würden? Es begannen die Repressionen gegen fast alle Metropol -Autoren: Man verbot Bücher (bereits gedruckte wurden in den Bibliotheken nicht mehr ausgegeben), Theatervorstellungen wurden abgesagt, Leute wurden gefeuert. Meine Personalakte als Mitarbeiter des Instituts für Weltliteratur wurde zuerst vom KGB beschlagnahmt (Entsetzen im Gesicht der Kaderleiterin mit den Löckchen), dann warf man mich auch dort hinaus. Nicht für lange; man stellte mich wieder ein, da man mich nicht zum Müßiggänger machen wollte. Man flüsterte mir auf der Straße zu: »Komm ins Institut.« Ich kam der Aufforderung nach – man stufte mich herunter, verbot mir die Beschäftigung mit französischer Literatur, die meisten Mitarbeiter sahen mich nur noch von weitem an, einige grüßten mich mitleidig und sprachen sogar mit mir, zuerst ließ man mich irgendwelche Referate schreiben, dann wurde ich in eine besondere Verbannung geschickt – kanadische Literaturgeschichte.
Einige Zeit nach der Zerschlagung von Metropol bestellte mich der Direktor des Instituts zu sich. Er sagte mürrisch, ich hätte die Ehre, an einer mehrbändigen Geschichte der Weltliteratur mitarbeiten zu dürfen, und solle das Kapitel über kanadische Autoren verfassen. »Nehmen Sie das ernst.« Ich bedankte mich und ging. Ich musste bei null anfangen. Ich ging in die Bibliothek für ausländische Literatur. Nichts. Ich hätte mich gern an die kanadische Botschaft gewandt, doch man warnte mich, ich
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