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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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wollten mich nur einschüchtern; sie redeten streng mit mir und forderten mich auf, die Manuskripte »im Guten« herauszugeben, ohne Durchsuchung; sie wollten »das Werk besser kennen lernen«, drohten mir mit einem Strafverfahren wegen »Pornografie«.
    *
    Zufall und Gesetzmäßigkeit: deren Rhythmus im Leben. Proust – alles Zufall, einschließlich der Gefühle. Was verwandelt sich in Gesetzmäßigkeit? Nach Proust/Sartre/Kundera, bei den Russen nach Bunin – nur die Kunst. Die Entstehung von Fantasie. Wann wird das Leben zum Schicksal?
    Siehe unten.
    Wer hat mich ausgewählt, mit dem Finger auf mich gezeigt, gesagt, dass ich nach Russland gehen solle, um sein Herz zu entdecken?
    Was?!
    Oder ist das alles zufällig?
    Was – alles?
    Worin besteht eigentlich meine Mission?
    Mission?
    Was wäre aus mir geworden, wenn man mich nach dem Schema Solshenizyn hinausgeworfen hätte?
    Ich weiß es nicht.
    Warum wurde mir befohlen, in Moskau zu bleiben?
    Ich weiß es nicht.
    War ich der Situation gewachsen?
    Nein.
    Habe ich meine Rolle verschissen?
    Ja.
    Wofür wurde ich mit Nicht-Liebe bestraft?
    Vermutung: für metaphysische Frechheit.
    Wie den Rhythmus von Zufall und Nicht-Zufall finden?
    Ich weiß es nicht.
    Man verdächtigte mich – wegen meiner fragwürdigen Herkunft – der Niederträchtigkeit und Denunziation. Vitja Kisseljow, mit dem ich nach Narym gefahren war, entdeckte während der Gorbatschow-Zeit in den KGB -Archiven, dass sie mich als echten Feind eingestuft hatten. Es ist geradezu seltsam, aber ich war ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Zugegeben, später hatte ich »versöhnlerische« Träume. Aber mehr nicht. Zudem reichten »sie« mir nicht die Hand. Ich fiel für acht Jahre in ein tiefes Loch. Dort war es still: keine Interviews, kein Fernsehen. Ich saß da und schrieb – ein beinahe glücklicher Zustand (später wurde er getrübt durch allen möglichen Glamour). Heute denke ich: Wann hätte ich mich schließlich gerührt und begriffen, dass ich für immer in der Falle saß, und mich in ihre Richtung bewegt, um Nachsicht bittend. Sie hatten die Ewigkeit gepachtet, und ich hatte nur ein Leben, doch in der Geschichte erwies sich wie zum Hohn alles als genau umgekehrt.
    *
    Von den wirklichen Plänen des KGB erfuhr ich sehr viel später, in Nepal. Mitte der neunziger Jahre fuhr ich nach Kathmandu. Boris Grebenschtschikow wollte mir den Osten und den Buddhismus nahe bringen. Das war halb gelogen, die Reise wurde dennoch zur Offenbarung. Grebenschtschikow kannte den Botschafter, er ging zu ihm zum Dinner und wollte mich mitnehmen, aber ich war nicht eingeladen. Am nächsten Morgen sagte Grebenschtschikow, der Botschafter wolle mit mir zu Abend essen – unter vier Augen. Ich wunderte mich, dachte dann aber, wer weiß, wozu es gut ist. Zur vereinbarten Zeit stand der gigantische rote Botschafter-Jeep mit der russischen Fahne vor dem Hotel. Der gutmütige Chauffeur (wie sich später herausstellte, ein verbohrter Kommunist und Fanatiker der alten Ordnung), hielt mir diensteifrig die Wagentür auf und brachte mich unter den Klängen der neuesten russischen Hits zur Residenz. Wir fuhren in einen kleinen tropischen Garten ein. Der Botschafter stand vor der Tür seiner Villa, im hellen Anzug mit Krawatte, und erwartete mich, nicht direkt strammstehend, aber doch wie einen Ehrengast. Wir wurden rasch allein gelassen. Zum Abendessen hatten wir ein halbes Fass Wodka getrunken, waren längst zum Du übergegangen. Ich saß da, ohne zu verstehen, worauf er hinauswollte. Osten – Westen – Osten – darum drehte sich das Gespräch, aber das war nicht der eigentliche Punkt. Die Sonne ging auf. Unter dem wilden Geschrei von Papageien gestand mir A. K., er habe sich einfach nicht getraut … »Was?«
    Er verstummte und schwieg lange. Ich dachte schon, er sei nach dem vielen Alkohol eingeschlafen. Aber dann begann er zu erzählen, nervös lächelnd, mit seinem klugen Gesicht des bekannten Orientalisten. Er hatte im Sekretariat Gromykos als Verbindungsmann zwischen Außenministerium und KGB gearbeitet. Die Idee kam von Andropow. Das Dokument wurde durch einen Kurier übergeben und war namentlich an den Außenminister gerichtet. A. K. sah es durch: Der KGB hatte, erzählte er mir, einen Plan erarbeitet, mich als Initiator des Almanachs nach dem Beispiel Solshenizyns des Landes zu verweisen: Man wollte mich für eine Nacht ins Lefortowo-Gefängnis stecken und am nächsten Morgen ins Flugzeug Richtung Westen. Gromyko

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