Der gute Stalin
Telefonzellen, das Café wurde mit Hilfe von Ärzten einer Station für epidemische Erkrankungen geschlossen und versiegelt, mit der fiktiven Begründung, es seien Kakerlaken gefunden worden, an die Tür hängte man eine Tafel mit der Aufschrift »Wegen Reinigung geschlossen«, und uns schleppte man zu Verhören in den Schriftstellerverband, wo wir vorsorglich ein Exemplar zur Kenntnisnahme abgeliefert hatten.
An der Tür meiner Wohnung am Leninski-Prospekt klingelt es. Ein Eilbote. Unterschreiben Sie die Empfangsquittung. Eine Vorladung: … fordern wir Sie auf … im Falle Ihres Nichterscheinens … Am 20 . Januar 1979 fand eine außerordentliche gemeinsame Sitzung von Sekretariat und Parteikomitee statt, zu der fünf von uns vorgeladen wurden. Das Szenarium stand von vornherein fest. Ein Ankläger nach dem anderen erhob sich, empörte sich, versuchte uns einzuschüchtern. Ungefähr fünfzig treue sowjetische Schriftsteller, die der Reihe nach in einem abgesperrten Raum im »Haus der Schriftsteller« den Almanach gelesen hatten (nach der Lektüre kamen sie heraus und schüttelten den Kopf), schrien uns ins Gesicht, wir seien Helfershelfer der Geheimdienste, »literarische Wlassow-Leute«, die man an die Wand oder mit dem Gesicht zum Volke stellen müsse. Alles war so ekelerregend, so niederträchtig, dass uns nichts anderes übrig blieb, als uns »heroisch« zu halten. Wie wir da in dem schönen großen Raum mit den neogotischen Elementen vom Anfang der zwanziger Jahre saßen, in dem einst die Moskauer Freimaurer ihre Sitzungen abgehalten hatten, stellten wir ein lebendes Bild des antisozialistischen Realismus dar, in Öl, mit groben, aufgeregten Pinselstrichen gemalt. Seltsam, dass sich nicht auch noch ein neuer Repin fand, um es tatsächlich zu malen. Oder vielleicht Repin plus Salvador Dalí: Wenn ich fünfundzwanzig Jahre nach diesem Abend die Augen schließe, dann sehe ich, wie sich Herbstfliegen uns auf die Gesichter setzen, irgendwo in den hinteren Reihen sind dunkel die Instrukteure des städtischen Parteikomitees zu sehen, undeutlich auch die Abgesandten des KGB . Iskander sagte plötzlich und unerwartet scharf mit vor Empörung weit aufgerissenen Augen, dass wir in unserem eigenen Land wie unter Okkupation lebten. Über Popow waren sie besonders wütend, weil er ihre Reden protokollierte. Axjonow nannte den Schriftstellerverband einen Kindergarten mit verschärften Bedingungen. Langhaarig, mit langem durchsichtigem Gesicht (das schon eher in ein Nesterow-Bild passte), erklärte ich, dass unser Almanach der Durchbruch sei.
»Der Durchbruch in den Westen!«, rief jemand gehässig. Bulat Okudshawa, von dem unklar war, auf welcher Seite er in dieser Versammlung saß, hüllte sich in Schweigen (das nahmen wir ihm übel). Ich ging auf den Korridor, um eine zu rauchen – mir folgten befremdete Blicke, als entfernte ich mich eigenmächtig von einem Verhör –, wo ich auf eine legendäre Persönlichkeit traf, einen Oberkonformisten der Stalin-Zeit, den glatzköpfigen Dichter Gribatschow.
»Was immer ihr sagt, Jungs«, sagte er, gleichsam aus dem Grab erstanden, »das ist euer Ende.«
»Ich warne Sie«, sagte zum Abschluss der Vorsitzende Felix Kusnezow, ein ehemaliger liberaler Kritiker der sechziger Jahre, der aussah wie ein Rasnotschinze und zum Oberscharfrichter unseres Metropol wurde, »wenn der Almanach im Westen erscheinen sollte, werden wir keinerlei Reuebekundungen Ihrerseits akzeptieren!«
»Drucken Sie ihn hier!«, sagten wir halsstarrig.
*
Wenn ich ins Land hinter den Spiegeln geraten wäre, hätte ich mich wahrscheinlich weniger gewundert: Ich befand mich im Epizentrum des Skandals, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die einen wollten mich für sich haben (geheimnisvolle westliche Journalisten verwandelten sich in amerikanische Zweimetertypen oder französische Intellektuelle wie Daniel Verné), und die anderen hassten mich. Ich wurde zerfleischt, bewirtet, verachtet, in Stücke gerissen. Damals waren Popow und ich unzertrennlich wie ein Papageienpärchen. Sie versuchten auf jede nur mögliche Weise Keile zwischen uns alle zu treiben. Sie sagten, Axjonow und wir gingen verschiedene Wege; er hätte im Westen eine Million! In welcher Währung? Über Lipkin wurden antisemitische Witze gemacht. Zwei bekannte Damen aus der literarischen Spionageabwehr, Tatjana Kudrjawzewa (mit der Mutter studiert hatte und sogar befreundet gewesen war) und Tamara Motyljowa, brachten in einem Artikel ihre Besorgnis
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