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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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war wegen des Verdachts auf Brustkrebs in Wien geblieben. Vor mir ein schwarzes Loch. Am nächsten Morgen wachte ich auf und sah an meinen Schläfen die ersten grauen Haare. Ich war einunddreißig Jahre alt.
    Vater nahmen umgehend vier Organisationen in die Mangel. Er wurde abwechselnd vom Außenministerium, vom KGB , vom ZK der KPdSU und vom Schriftstellerverband vorgeladen. Die Idee meiner Opponenten bestand in Folgendem: Da ich einer der Initiatoren des Almanachs war, könnte man, falls ich einen Reuebrief schrieb, der in der Literaturnaja gaseta veröffentlicht werden sollte, seine Publikation im Westen stoppen. Stukalin, der Sekretär der Parteiorganisation im Außenministerium, brachte seine Meinung so zum Ausdruck:
    »Ich würde mich an deiner Stelle von einem solchen Sohn distanzieren«, erklärte er meinem Vater in seinem Arbeitszimmer.
    Das Objekt der diplomatischen Bemühungen meines Vaters war nun nicht mehr Amerika oder die europäischen Demokratien, sondern der eigene Sohn. Ausgerechnet von ihm wurde verlangt, mich zum Schreiben eines Reuebriefes zu überreden. Vater behielt das Gehalt eines Botschafters in Devisen, während er im Auftrag des Ministers an mir »arbeitete«. Wir waren beide in die Falle geraten. Gromyko ließ ihn den Preis wissen, sollte die Operation schief gehen.
    GROMYKO Wenn es keinen Brief gibt, werden Sie von Ihrem Posten in Wien abberufen.
    Das war meiner Ansicht nach pure Erpressung. Vater suchte eiligst Hilfe bei seinem engen Freund Andrej Michailowitsch Alexandrow, Breshnews außenpolitischem Referenten, in Moskau und Washington bekannt als Architekt der »Entspannung« und als »sowjetischer Kissinger«. Irgendwann war es mir mit dessen Unterstützung gelungen, Axjonow trotz verhängten Verbots zu einer Reise in die USA zu verfrachten. Der wiederum hatte nach seiner Rückkehr offenbar Freunden von meinen grenzenlosen Möglichkeiten erzählt, und daraufhin wurde ich im Eichensaal von den Schriftstellern um die Wette am Ärmel gezogen und beim Essen darum gebeten, ihnen ebenfalls eine Reise zu verschaffen. Der kluge Alexandrow, den ich wegen seiner Leidenschaft für Sex, seiner Gewandtheit und hageren Gestalt insgeheim »Spermatozoon« nannte, empfing den Freund mürrisch:
    »Hast du denn geglaubt, du könntest dich dein ganzes Leben im Ausland tummeln?«, sagte er – Gromykos Position war ihm bereits zugetragen worden.
    Beim KGB zeigte man Vater das geheime Dossier über mich. Ein beeindruckendes dreihundertseitiges Dokument: Denunziationen von Beschattern, Aufzeichnungen von Telefongesprächen, Listen meiner Verabredungen, Freunde, Kontakte zu Ausländern. (Was hast du da für eine Französin? – Welche Französin? – Mit der du dich immer triffst. Lass das bleiben! – Ich treffe mich doch mit niemandem. – Ich tat, als wüsste ich von nichts.) Am meisten aber erschütterte meinen Vater ein Gespräch im ZK . Das höchste Organ im Lande, das Politbüro, hatte auf seinen Sitzungen den Fall Metropol zweimal diskutiert und einen Plan zu seiner Unterdrückung erarbeitet. Vater wurde zu Michail Simjanin, dem einflussreichen ZK -Sekretär für Ideologie, zitiert.
    SIMJANIN Begreifst du, dass Metropol der Anfang einer neuen Tschechoslowakei ist?
    Simjanin duzte Vater. Das war nicht nur die Anredeform eines hohen Vorgesetzten, sondern auch eines Bekannten, mit dem Vater mehr als einmal Tennis gespielt hatte.
    »Es heißt, dass auch dein zweiter Sohn sich als Dissident betätigt.«
    »Wer sagt das?«, fragte Vater vorsichtig.
    »Simonow war bei mir. Der hat es erzählt.«
    Das war einigermaßen glaubwürdig. Vater verstand, dass er jetzt keinen Fehler machen durfte.
    »Seltsam«, sagte er ironisch lächelnd. »Ich habe Simonow kürzlich getroffen. Er hat vorgeschlagen, dass mein jüngerer Sohn seine Tochter Sascha heiratet.«
    »Na, dann klärt das mal unter euch«, sagte Simjanin stirnrunzelnd.
    Sascha war die Braut meines Bruders. Während seines letzten Besuchs zu Neujahr hatten die Simonows Vater eingeladen, um die Hochzeit zu besprechen. Vater kam gut gelaunt nach Hause. Wart auf mich! Er, der er von seiner Position im Leben her tiefer stand als Simonow, hatte seine Unabhängigkeit bewiesen, indem er dem Klassiker der Sowjetliteratur zu verstehen gab, dass es Sache der Kinder sei, wann sie heiraten wollten. Sascha mit den hohen Wangenknochen kam beinahe täglich zu uns nach Hause. Meine Mutter fürchtete sich ein wenig vor ihr: eine unberechenbare, verwöhnte Person (im

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