Der gute Stalin
talentierten, weltberühmten Freunden, meinem eigenen intellektuellen Gepäck und schließlich mit meinen Erzählungen nach ihm, die er sonst niemals gelesen hätte? All das bleibt jenseits des Bewusstseins, aber meine »Bombe« explodierte in seinen Händen.
Nur zwei Wochen bevor Ray Benson ein Exemplar des Almanachs mitnahm, waren meine Eltern in den Neujahrsferien nach Moskau gekommen. Wir feierten Silvester mit Austern und französischem Champagner. Es ging fröhlich zu, wir stritten nicht über Politik (das hätte meinen Eltern verdächtig erscheinen müssen). Dass bei ihr ein Verdacht auf Brustkrebs bestand, erwähnte Mama nicht. Ich sagte nichts über meine konspirative Tätigkeit. Ich wusste, dass meine Eltern sie nicht gutheißen würden; andererseits rechnete ich naiv mit einem Sieg. Jetzt, da Geheimdokumente des KGB zum Fall Metropol und Erinnerungen unserer Gegner veröffentlicht sind, ist klar geworden, dass die Meinungen geteilt waren und es solche gab, die den Almanach in der Sowjetunion veröffentlichen und damit faktisch das Monopol des Sozialistischen Realismus aufheben wollten. (Bobkow, der ehemalige Chef der Abteilung fünf des KGB der UdSSR , schreibt in seinen Memoiren von 1995 : »Wir baten darum, die Emotionen nicht anzuheizen und diesen Sammelband herauszubringen.« Ob man ihm glauben kann?) Vielleicht haben uns nur zwei oder drei große Namen zum Sieg gefehlt (Okudshawa und Trifonow zum Beispiel). Aber Chancen für den Sieg glaubte ich damals zu sehen, und ich wollte meine Eltern nicht in die Geschichte hineinziehen. Sie wurden von der anderen Seite hineingezogen. Der KGB befand ganz richtig, dass Vater meine Schwachstelle war, und auf die schlugen sie ein.
*
Zum letzten Mal holte ich meinen Vater nach allen Regeln für Sowjet- VIP s ab. Eine schwarze Limousine des Außenministeriums brachte mich zum internationalen Flughafen Scheremetjewo. Zum letzten Mal salutierte ein Soldat, als er den Schlagbaum zur Einfahrt auf das Flugfeld öffnete, einfach weil ich existierte. Der Wagen steuerte auf eine weiß-blaue Aeroflot-Maschine zu, eine TU - 154 , die gerade aus Wien gelandet war. Ich stieg die Gangway hoch, betrat die erste Klasse, die Persianermütze für Vater in der Hand – es war ein wirklich bitterkalter Winter in diesem Jahr. Vater küsste mich, er roch nach Cognac, setzte die Mütze auf und sagte, als wir die Gangway hinunterstiegen:
»Diesmal bin ich deinetwegen gekommen.«
Und gleich darauf, ohne mich zu Wort kommen zu lassen, sagte er zum ersten Mal im Leben einen konspirativen Satz, der nicht gegen den Westen, sondern gegen seine Leute gerichtet war:
»Sprich im Auto nicht über Wichtiges. Nicht in Gegenwart des Chauffeurs.«
Nur eine Woche vor Vaters Ankunft war Galina Fjodorowna, eine Freundin meiner Eltern, bei mir vorbeigekommen und hatte mit allzu lebhaftem Interesse gefragt:
»Werden sie Wolodja abberufen?«
Galina Fjodorowna hatte ihr Leben grundlegend geändert. Nachdem sie den KGB ler Lodik verlassen hatte, heiratete sie den Schriftsteller Balter und bewegte sich seitdem in liberalen Schriftstellerkreisen, pflegte Umgang mit Berühmtheiten, kurzum, sie verwandelte sich in eine Dekabristin. Alles wäre wunderbar gewesen, doch paradoxerweise hatte sich der KGB ler gegenüber seiner Frau immer liberal verhalten, wohingegen der liberale Schriftsteller sich als eifersüchtiger Diktator aufführte. Galina Fjodorowna ertrug den häuslichen Terror jedoch heldenhaft, da sie zu Hause die Möglichkeit hatte, Okudshawas Lieder und Woinowitschs subversive Satiren zu hören. Möglicherweise spürten die Frauen mit ihrer Intuition besser, wohin sich Russland einige Jahre später bewegen würde. Ihre enge Freundin, die schöne Maja, war ihrerseits im Begriff, den stalinistischen Dokumentarfilmer Roman Karmen zu verlassen, um ihr Leben mit Axjonow zu verbinden. Beide Frauen fanden jetzt solche Fragen aufregend, ob der Roman tot sei und wann Breshnew sterben würde.
»Was hat Vater damit zu tun?« Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte nicht das Schlimmste annehmen. Ich glaubte aufrichtig: Dieser Kelch geht vorüber. Mir schien, dass Galina Fjodorowna vor allem das Pikante an der Situation interessant fand. Galina Fjodorowna sah mich befremdet an.
Klawa, die Haushälterin meiner Eltern, empfing uns in der Wohnung meines Vaters mit lautem Weinen. Sie hatte den idiotischen Gerüchten geglaubt, man habe mich bereits »erschossen«. Es hätte schlimmer nicht sein können. Mutter
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