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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Übrigen trug sie keine Unterwäsche). Aber sie war die Tochter von Simonow! Simonow besaß den einzigartigen Ruf eines sowjetischen Liberalen, obwohl er keiner war. Sascha vergötterte ihn. Mein Papa! Mein Papa! Sie säuselte uns die Ohren voll mit ihrem Papa. Er stand auf dem Elbrus ihres Bewusstseins, unerreichbar sogar für die Vögel. Too much . Andererseits war ihr Vater tatsächlich eine lebende Legende. Ich habe ihn ein paar Mal gesehen: der Charme eines Bonvivants, Gourmands, Literaturfürsten. Der Fürst schien wie kein anderer den Kommunismus zu zwingen, für ihn zu arbeiten, für seine intellektuellen und materiellen Besitztümer. Simonow besaß einen Schutzbrief außerparteilicher Redlichkeit, der ihn vor dem verbalen Orkan der liberalen Kritik schützte. Und dann das – er lieferte Saschas Bräutigam der Parteiobrigkeit aus. Er, Simonow, hatte plötzlich Angst bekommen und sich als falscher Fürst erwiesen. Er stand auf der Seite jener, die den Almanach hinter verschlossenen Türen gelesen hatten, die sich an einer Veröffentlichung unter dem Titel »Pornografie des Geistes« im Moskowski literator beteiligt hatten und über die mein Bruder und ich lachten – Sascha auch. Wenn der Vater lächerlich ist, ist er kein Vater. Mehr noch, Simonow hatte seiner Tochter befohlen, den Kontakt zu unserer Familie abzubrechen. Er wurde von schrecklichen stalinschen Visionen heimgesucht. Als Sascha von dem Verrat erfuhr, konnte sie es zuerst nicht glauben. Sie saß mit großen Augen bei uns auf dem Sofa. Heimlich hatte sie in Simonows Schreibtisch herumgeschnüffelt. Simonow führte Tagebuch. In diesem Tagebuch war ein Gespräch mit S. notiert, in dem auch mein jüngerer Bruder erwähnt wurde. Sascha brach mit ihrem Vater. Sie weigerte sich, ihn zu sehen. Sie erwähnte ihren Vater nicht mehr. Später, als es nach Haussuchung roch, versteckte sie das Metropol -Archiv in ihrer Wohnung.
    Nachdem sein »Bekannter« Simjanin Vater gleichsam als Warnung den Vorfall mit Simonow erzählt hatte, wünschte er nicht mehr, mit ihm unter vier Augen zu reden, da er ihn nun nicht mehr als »einen der eigenen Leute« empfand: Auf Vater lag der Schatten meiner Häresie. Bei der Unterredung war der Leiter der Kulturabteilung des ZK anwesend, ebenjener Wassili Schauro, der meiner Mutter gegenüber nicht ganz gleichgültig gewesen war und den Vater seit Studienzeiten kannte. Simjanin deutete auf Vater:
    »Sie kennen sich?«
    Schauro reichte ihm die Hand und stellte sich trocken vor: »Schauro.«
    Simjanin las Vater die »brisantesten« Stellen des Almanachs vor (Vater hörte nicht richtig zu, seine Gedanken schweiften ab, er betrachtete nach seiner Gewohnheit die Spitze seines polierten Schuhs und fühlte insgeheim Überlegenheit gegenüber dem verhinderten Rivalen, der ihn in seiner Karriere überholt hatte), nannte die Achmadulina eine »drogensüchtige Prostituierte« (Vater hob den Kopf), und über mich sagte er schließlich:
    »Dein Sohn ist der Schlimmste. In politischer Hinsicht.«
    Vater schwieg. Der grauhaarige Schauro mit der hohen Frisur runzelte die Stirn. Simjanin grinste spöttisch:
    »Alexandrow hat vorgeschlagen, deinen Sohn auf Dienstreise zu schicken. Er könnte einen Artikel über den Bau der BAM schreiben.«
    Vater dachte: Bravo! Denn in dieser Idee lag eine gewisse Hoffnung; auch Schauro wurde etwas lebhafter.
    »Warum nicht?«, fragte Vater leichthin. »Ich finde, das ist keine schlechte Idee.«
    »Damit er uns auch noch die BAM zuscheißt? Er kann doch nur über Klos schreiben.«
    Die Hoffnung erlosch. Simjanin fuhr mit Nachdruck fort:
    »Außerdem will er doch emigrieren.«
    »Wer sagt das?« Vater spitzte die Ohren.
    »Kusnezow hat mir das erzählt. Dein Sohn hat es ihm selbst gesagt.«
    Das war die pure Verleumdung.
    »Richte deinem Sohn aus, wenn er den Brief nicht schreibt, dann kann er seine Knochen zählen.«
    *
    Eine solche Drohung, ausgesprochen von einem einflussreichen Parteifunktionär, war kein Spaß. Sie konnten mit mir machen, was sie wollten, mich zur Armee einziehen (was Simjanin meinem Vater im Klartext sagte) und mich hinter Kasernentüren fertig machen, mich ins Gefängnis stecken oder einen »Unglücksfall« provozieren. Ich kann nicht sagen, dass ich Angst bekam. Vater hat mich nicht als Feigling erzogen, und jetzt, wo ich meinen »Mut« unter Beweis stellen sollte, wendete er sich faktisch gegen ihn.
    Für mich war das eine Zerreißprobe. Ich sah, wie er sich quälte, wenn er abends

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