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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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musste ich mich mit seiner Wiederbelebung befassen, seinem Opfer einen Sinn geben. Ich musste mich nicht an der Staatsmacht rächen, sondern schreiben. Vater hatte mich als Schriftsteller akzeptiert – ich musste beweisen, dass dem so war. Bei mir entstand eine starke Motivation zu schreiben; sie bestand aus der Archaik des Vatermords, dem Zeitgemäßen meiner literarischen Nische und der Prädestination. All dies unterwarf sich jedoch nur einer eitlen, oberflächlichen Logik. In Wirklichkeit war die Pyramide auf den Kopf gestellt, oder zumindest kam es mir so vor. Die Prädestination war es, die umgekehrt mir die Nische im Zeitgemäßen ermöglichte und den Vatermord garantierte.
    *
    Einige Tage später wurde Vater von Gromyko befohlen, nach Wien zurückzukehren – und dort offiziell Abschied zu nehmen. Man setzte den KGB auf ihn an. Sie hatten Angst, der sowjetische Botschafter könnte sich in seinen großen schwarzen Mercedes setzen und auf der Suche nach Freiheit Richtung München verschwinden. Vater verschwand nicht – er verabschiedete sich von den Kollegen. Die Botschafter der sozialistischen Länder, die von dem Skandal erfuhren, erschienen allerdings nicht bei ihrem »in Ungnade gefallenen« Verbündeten, dafür drückten ihm die westlichen »Feinde« freundschaftlich die Hand und baten ihn im Flüsterton, mir Grüße auszurichten. Boykottiert wurde Vater auch von den noch vor kurzem ihm sklavisch ergebenen Wirtschaftsangestellten und Dienstmädchen der sowjetischen Vertretung. Er und Mutter, die von der Gott sei Dank erfolgreichen Operation noch geschwächt war, mussten ihre Siebensachen selbst zusammenpacken. Auf dem Bahnhof in Wien blieben die sowjetischen Mitarbeiter vor lauter Angst, sich dem gestürzten Chef zu nähern, in einem großen Halbkreis stehen. Der Zug setzte sich in Bewegung. Eine französische Bekannte schenkte Mama, die noch an der Tür des schon fahrenden Waggons stand, Chanel Nr. 5 .
    *
    Plötzlich zeigte sich, dass es zwitschernde Vögel auf der Welt gibt. Es war ein sonniger Tag im Mai.
    »Steig aus, antiker Mann!«
    »Was ist los?«, war aus dem Auto die schläfrige Stimme von Popow zu hören, die ungefähr so klang wie die von Sokrates.
    Wir saßen im frischen Gras, neben dem geflochtenen Korb hatten wir ein Tischtuch ausgebreitet, darauf lagen die von Axjonows Maja mit Liebe gemachten belegten Brote, wir kauten und fühlten, dass die Sonne kräftiger schien als in Moskau, und plötzlich wurde uns leichter. Schon nach dreihundert Kilometern auf der Kiewer Chaussee Richtung Süden (wir wollten über Kaluga fahren) machten wir das erste Mal Rast am Straßenrand. Während Vater in Wien seine Sachen packte, fuhren wir zu dritt (Axjonow, Popow und ich) mit Axjonows grünem Wolga auf die Krim. Die Erkenntnis gehört Axjonow: Die Krim ist eine Insel. Popow, der zum Koch ernannt wurde, verschlief den ganzen Weg auf dem Rücksitz, vom Metropol -Stress befreit.
    Axjonow und ich wechselten uns am Steuer ab. Axjonow bekreuzigte sich vor jeder Kirche – er war frisch bekehrt. Er hatte das Gefühl, der KGB wolle ihn physisch vernichten. Maja, die ihn retten wollte, schlug ihm vor, das Land zu verlassen. Davon hatten sie auf ihrer neuen, vom Literaturfonds finanzierten Datscha in Peredelkino gesprochen, während wir uns alle betranken: Sie gingen schließlich schlafen, und Popow und ich leerten ohne Erlaubnis der Gastgeber noch zwei Flaschen Rosé (als ich kürzlich bei Axjonow in Biarritz war, beglich ich endlich meine alte Schuld). In Charkow reparierten wir nachts in einem Taxibetrieb sein Auto. Gegen Morgen, als es noch dunkel war, sagte Axjonow, der am Steuer saß, er habe seine Einwilligung gegeben, dass sein Roman Gebrannt in den USA veröffentlicht würde. Das war für mich ein schwerer Schlag.
    »Aber der KGB hat dich doch gewarnt, dass du gehen musst, wenn du deinen Roman im Ausland herausbringst.«
    »Ja, davon war die Rede«, gab Axjonow zu.
    »Dann gehst du also?«
    »Wieso denn?«
    »Du hast deine Abmachung mit dem KGB gebrochen.«
    »Nach Metropol hat sich alles geändert.«
    »Aber wir haben doch gesagt, dass wir Metropol nicht machen, um abzuhauen.«
    Das hatten wir der ganzen Welt verkündet, und das war unsere Stärke. Wir fuhren schweigend weiter. Dann ging links von uns stürmisch die ukrainische Sonne auf, wir näherten uns Saporoshje, und ich dachte: Na schön, vielleicht geht der Kelch an uns vorüber!
    Auf der Krim, im Schriftstellerhaus in Koktebel, trafen wir

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