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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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dampfte. »Treten die jetzt aus, wie sie es versprochen haben?«
    Gute Frage. Popow und mir fiel ein, dass Andrej Wosnessenski inzwischen zu einer Nordpolexpedition verschwunden war, und deshalb forderten wir sie für alle Fälle mit einem freundschaftlichen Brief auf, im Verband zu bleiben, um den liberalen Flügel nicht weiter zu schwächen.
    Bitow, Iskander und die Achmadulina waren umsichtig genug, unserer Aufforderung nachzukommen.
    Lipkin und die Lisnjanskaja traten jedoch aus und lebten jahrelang würdig in Armut. Ihnen erging es am schlechtesten von allen: Sie verloren ihre Existenzgrundlage. Axjonow trat ebenfalls aus, aber sein »Ausreisepoker« schwächte unsere Einheit. Bald darauf erhielt er eine Einladung von einer amerikanischen Universität, reiste aus und verlor die sowjetische Staatsbürgerschaft.
    *
    Die Idiotie der Dissidenten war bisweilen das Spiegelbild der Idiotie der Staatsmacht. Lew Kopelew, besonders in Deutschland populär, sagte damals, dass meine Erzählungen in Metropol faschistisch seien. Wie die Direktorin der Schule Nr. 122 . Dieser Ruf haftete mir lange Jahre unter westlichen Slawisten an, und als Kasacks Lexikon der russischen Literatur ab 1917 erschien, wunderte ich mich nicht, meinen Namen darin nicht zu finden. Auch Iskander war gegen meine Erzählungen. Er sagte offen, sie hätten mit ihrer moralischen Fragwürdigkeit den Almanach verdorben. Eine seltsame, ausweglose Situation. So viel Kampf – wofür? Ich fühlte mich – im Spiegel der allgemeinen Meinung – wie ein frecher Kater, der aufs Sofa gemacht hat. Ich lächelte schuldbewusst, wie ein Systemfehler. Später, schon nach Metropol , schrieb ich die Erzählung »Der kleine Papagei« und brachte sie meinen Freunden Boris Messerer und Bella Achmadulina zum Lesen. Boris gab sie mir heimlich im Flur seiner Datscha in Peredelkino zurück und sagte, dass Bella, wenn sie sie gelesen hätte, mir die Freundschaft aufkündigen würde. Bitow hielt meine Prosa für kalt berechnende Texte des Literaturwissenschaftlers und verglich sie mit der Prosa meines Namensvetters, des Naturtalents. Im Unterschied zu Popow, dessen Metropol -Publikation von einem »Teufelsdutzend Erzählungen« ihn zum Liebling der Intelligenzija machte, wurde ich weder von den einen noch von den anderen gemocht. Erst viel später verstand ich, dass das mein Glück war. Wohl nur Weniamin Alexandrowitsch Kawerin, der mit dem Musical Nord-Ost posthum zu weltweiter Berühmtheit gelangte, unterstützte meine ersten literarischen Versuche und wurde meine schmale persönliche Brücke zur literarischen Kultur der zwanziger Jahre. Aber eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen. Das Gedächtnis ähnelt einer Leiche, die von ihrem geliebten Hund abgenagt wurde. Als ich dem polnischen Schriftsteller Tadeusz Konwicki begegnete, den ich damals zur Mitarbeit an Metropol hatte einladen wollen, aber in Warschau nicht finden konnte, fragte ich ihn, warum er nicht seine Erinnerungen schreibe.
    »Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte der Pole.
    »Dann schreib ein Buch der Erinnerungslosigkeit!«
    Das ist sehr viel interessanter. Wie oft bin ich zu Kawerin auf die Datscha nach Peredelkino gefahren! Was haben wir gemacht? Tee getrunken – ich befragte ihn gierig zum literarischen Alltag der zwanziger Jahre, zu Pasternak, Fadejew, Schklowski, seinem Verwandten Tynjanow. Ich sah vor mir den Zeitgenossen einer großen literarischen Epoche, den Autor der Novelle Die Tonne . Kawerin erzählte ohne Eile. Er lebte an der frischen Luft, er war ein rosiger, ehrlicher alter Mann. Ich hörte aufmerksam zu. Ich erinnere mich an nichts von dem, was er sagte. An kein einziges Wort. Bis auf seine spitzen Bemerkungen über die Memoiren von Nadeshda Mandelstam, aber das war ein Text und kein mündliches Erzählen. Mein Gedächtnis hat man abgezogen wie Wasser aus dem Spülkasten der Toilette, um das Unreine runterzuspülen. Vor diesem leblosen Keramikhintergrund sehe ich nur die bis auf die Knochen durchgefrorene Freundin Mascha, die aus verständlichen Gründen nicht zum Klassiker vorgelassen wurde, mit wütend hochgezogenen kaukasischen Augenbrauen, die die ganze lange Zeit, die ich, beim Tee sitzend, der Literatur widmete, einsam, die Nase hochziehend, auf der eisigen Gorki-Straße in Peredelkino spazieren ging. Ich rechtfertigte mich, während ich in den kalten Shiguli einstieg. Ich weiß, was weiter sein wird. Es wird Frühling. Weniamin Alexandrowitsch und ich gehen auf seinem

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