Der gute Stalin
Grundstück spazieren. Ich bin seine letzte Liebe. Er bleibt bei einem Bäumchen mit winzigen frischen grünen Blättern stehen, flüstert:
»Sehen Sie, hier sind meine Erinnerungen vergraben. Das ist ein Geheimnis, nur dass Sie Bescheid wissen.«
Ich schwöre. Ich bin stolz. Ich bin eine Vertrauensperson. Ich werde sie unbedingt ausgraben. Im Ausland veröffentlichen. Wir gehen Tee trinken. Einen Monat später:
»Gehen wir in den Garten?«
Ob er sie woanders vergraben und versteckt hat? Wir nähern uns dem leuchtend grünen Bäumchen.
»Sehen Sie, hier sind meine Erinnerungen vergraben. Das ist ein Geheimnis, nur dass Sie Bescheid wissen.«
Ich bin eine Vertrauensperson. Ich werde sie ausgraben. Wir gehen Tee trinken. Einen weiteren Monat später:
»Gehen wir in den Garten?«
Gut. Das Bäumchen bekommt schon Früchte. Das sind Äpfel. Soll ich es ihm sagen? Er flüstert wie ein Verschwörer:
»Sehen Sie, hier sind meine Erinnerungen vergraben. Das ist ein Geheimnis, nur dass Sie Bescheid wissen.«
Ich schwöre. Ich bin stolz. Wenn ich Glück habe, ist das meine Zukunft. Eine andere ist mir nicht gegeben. Ich liebe dieses Theaterstück in drei Akten: Ich hatte immer schon vermutet, dass das Gedächtnis die Möglichkeit des reinen Stils besitzt (die Philister des moralischen Gedächtnisses finde ich lächerlich). Weniamin Alexandrowitsch:
»Wie oft schreiben Sie einen Text um?«
»Und Sie?«
»Ich? Oft. Ich feile und feile. Und Sie?«
»Wie es sich ergibt.«
Weniamin Alexandrowitsch verschaffte mir nach Metropol die Möglichkeit, etwas mit Fernsehdrehbüchern zu verdienen. Ich stehe bis zum Hals in Kondensmilch. Ich liebe das Rohe bei der Erstfassung eines Manuskripts. Zwei extrem prinzipielle Leute statteten mir zu Hause einen Besuch ab. Er – Schriftsteller, sie – Chefin der Familienideologie. Beide – Amnesty International nahe stehend. Vergangene Metropol -Zeit. Er erklärte, dass ich als CIA -Agent wissen müsse, was mit meinem Freund Popow los sei.
»Wie kommen Sie darauf, ich sei CIA -Agent?«
Der Dissident warf einen Blick auf den Stapel amerikanischer Zeitschriften auf meinem Schreibtisch und lächelte:
»Du hast alle amerikanischen Journalisten in Moskau in der Hand. Sie zitieren dich als ihren Boss.«
Ich schwieg.
»Und Popow ist KGB -Agent.«
Ich stellte mir uns beide vor und brach in schallendes Gelächter aus wie Stalin, den mein Vater zum Lachen gebracht hatte. Der Schriftsteller wartete, bis ich aufgehört hatte.
»Das ist kein Scherz«, sagte er.
»Vielleicht weiß ich es als CIA -Agent besser?«, fragte ich. Er sah mich ängstlich an. In seinen Augen verwandelte ich mich in einen transatlantischen Kommandeur.
»Und woher wissen Sie, dass er KGB -Agent ist?«
»Wir waren neulich in Peredelkino. Wir saßen an einem Tisch. Ich habe gefragt, wer die Idee unterstützt, die Sowjetmacht mit Gewalt zu stürzen. Viele haben das unterstützt. Popow hat sich bloß in Schweigen gehüllt.«
»Wenn er KGB -Agent wäre«, sagte ich, »dann wäre er der Erste gewesen, der sich für den Umsturz ausgesprochen hätte.«
Eine peinliche Pause trat ein. Der Schriftsteller fand seine Fassung wieder.
»Er ist aber ein feiger Agent.«
»Raus«, sagte ich und stand auf.
Bis dahin hatte ich noch nie jemanden hinausgeworfen. Die Kultur-Groupies (hauptsächlich Jüdinnen: Jessenin hat irgendwo gesagt, seine liebsten Verehrerinnen seien Jüdinnen) erklärten mich zum Helden, und in jenen Monaten, als meine Eltern und meine Frau Depressionen hatten angesichts des realen Fehlens einer Zukunft, setzte ich meinen Plan, ein Gelage in den Zeiten der Pest zu veranstalten, in die Wirklichkeit um. Ich kam morgens nach Hause in die Wohnung am Leninski-Prospekt, nach Parfüm und Sperma riechend. Ich schloss die Tür auf. Meine Frau stand vor mir, zugequalmt vom Kettenrauchen. Wo warst du? In meinen vertikalen Pupillen turnten die beiden hübschen Schwestern herum. Meine Frau, die die ganze Nacht nicht geschlafen und sich Sorgen gemacht hatte, ob mich vielleicht der KGB kassiert hätte, schlug mir weinend ins Gesicht. Ich schlug zurück. Sie fiel zu Boden. Ein Element des unmenschlichen Spiels wurde Teil meiner Schriftstellernatur.
*
Wem gefiel es, dass mein Vater Opfer wurde und ich dermaßen zur Vernunft kam, dass ich mich selbst fand? Es geht nicht um die historischen Mächte. Im Gegenteil, das väterliche Opfer brachte in der Gorbatschow-Zeit auch positive Früchte. Man hatte sogar Bedenken, mit
Weitere Kostenlose Bücher