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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Platanen. An den Kreuzungen ragten Palmen empor. In Toulon öffnete sich dem Blick das Mittelmeer. Es lag da, golden, ganz etwas anderes als die blasse schwedische Ostsee. Die Häuser waren gelb mit südlichen Fensterläden, in den Cafés war es laut. Alle feierten und amüsierten sich in den Straßen. Die französischen Partisanen, behängt mit Maschinengewehrgurten, Granaten und automatischen Waffen, hielten gelockte Mädchen im Arm, die aussahen wie Italienerinnen. Die gelockten Mädchen bogen sich unter den Küssen. Vater ging sogleich ins Kino. Es wurde eine Wochenschau gezeigt, die man den Deutschen weggenommen hatte. Im Saal war es stickig, es wurde geraucht und gelärmt. Hitler erschien und hob den Arm: Die Leinwand wurde von einer Maschinengewehrsalve durchlöchert. Die Zuschauer pfiffen zustimmend.
    Von Toulon beförderten die Amerikaner Vater nach Rom. Statt nach Moskau zurückzukehren, machte Vater italienische Ferien. In Rom fand er die sowjetische Militärmission nicht, die nach Norditalien verlegt worden war, und die Amerikaner brachten ihn nach Neapel, wo sie ihn bei einem englischen Stützpunkt abgaben. Die Engländer verhielten sich Vater gegenüber misstrauisch, erlaubten ihm jedoch, direkt auf dem Flugplatz in einem Zelt auf eine Maschine zu warten, die ihn mitnehmen konnte. Schlimm war, dass die Engländer ihn nicht mit Lebensmitteln versorgten, und Geld hatte er gerade noch genug für fünf Schachteln Streichhölzer. In gedrückter Stimmung ging er los zum Vesuv und verirrte sich. Ein junger Italiener kam ihm entgegen. Als der hörte, dass Vater Russe war, lud er ihn hellauf begeistert in seine kommunistische Zelle ein. Wladimir lehnte bescheiden ab, aber am nächsten Tag fiel eine fröhliche Schar braun gebrannter Kommunisten in sein Zelt ein und begann ihn zu herzen und zu küssen. Sie hatten einen ganzen Sack mit Essbarem mitgebracht, außerdem Wein und Zigaretten. Vater lebte fortan wie Gott in Frankreich. Die Engländer beschlossen, sich den suspekten Typen vom Hals zu schaffen. Sie setzten ihn in ein Flugzeug, das nach Kairo flog. Aber das Flugzeug kam nicht bis Kairo. Es landete auf dem zerstörten Flugplatz von Bari. Die Deutschen bombardierten unentwegt die Stadt: In Bari war die Ausschiffung der Alliierten nach Griechenland im Gange. Vater lebte wieder in einem Zelt, aber da bombardiert wurde, verbrachte er viel Zeit in Gruben und Deckungsgräben. Wladimir war verdreckt bis zur Unkenntlichkeit, er schaffte es nicht, sich zu waschen. Bei Sonnenaufgang stürmten zwei englische Soldaten in sein Zelt, rüttelten ihn wach, schnappten sich seinen dunkelbraunen schwedischen Koffer (ein schönes Stück, das muss man sagen) und befahlen ihm, zu einem Flugzeug zu laufen, das nach Kairo flog. Vater sprang auf, zog sich an, rannte los, sah jedoch nur noch den Schwanz der rasch an Höhe gewinnenden Maschine. Mit ihr flog sein Koffer davon. Einige Tage später fand er seinen Koffer in Ägypten wieder, besichtigte Kairo und besuchte die Pyramiden. Ein alter Araber ließ ihn auf einem Kamel reiten und verkaufte ihm ein altes Siegel mit der Aufschrift »Alles geht vorüber«. Weiter ging alles wie geschmiert. Vater flog in den Iran. In der sowjetischen Botschaft, die sich in einem alten Park befindet, sah er den Saal, wo ein Jahr zuvor die Konferenz der drei verbündeten Staaten stattgefunden hatte. Von Teheran flog Vater Anfang November 1944 nach Moskau. Dort roch es schon nach Sieg. Molotow brauchte offenbar dringend einen Referenten mit Französischkenntnissen. Die Wahl fiel auf Vater.
    *
    Wjatscheslaw Michailowitsch hatte die Angewohnheit, sich irgendwann im Laufe des Tages ein halbes Stündchen hinzulegen. Auf dem runden Tisch im Erholungsraum neben seinem Arbeitszimmer standen immer frische Blumen, eine Schale mit Obst und Walnüssen, die Wjatscheslaw Michailowitsch schrecklich gern aß. Er war der zweite Mann im Staat. Nach ihm waren Städte benannt, Autos und Kolchosen, sein Konterfei hing auf Straßen und in Museen. In seiner Jugend hatte er in Restaurants Geige gespielt. Er lachte nie, und wenn er einmal lächelte, dann ungern und angestrengt. Molotow bestand aus einem Anzug mit Krawatte, einem erdfarbenen Gesicht, einer hohen Stirn mit tiefen Geheimratsecken, einem Zwicker auf der großen Nase, einem borstigen, aber sorgfältig gestutzten Schnurrbart.
    Vater konnte in ihm keinen Tribun und keinen flammenden Revolutionär entdecken. Molotow hörte sich geduldig seine positive Meinung über

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