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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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an und roch lange genüsslich an der Kohlsuppe. In seiner Jugend hatte Petrowitsch als Koch bei den Fürsten Jussupow gedient. Er hatte sein Handwerk im Warschauer »Jagdclub« und dann in Paris erlernt. Im Treppenaufgang wohnten auch Herrschaften: Sie wurden immer von sauberen schwarzen Automobilen abgeholt. Petrowitsch stand stramm und salutierte. Für Papa schickten sie immer einen schokoladenbraunen Pobeda. Dem Fahrstuhlführer tränten die Augen. Der Junge schnüffelte: Petrowitsch stank, aber ein bisschen anders als der Arbeiter.
    Draußen war die Nacht noch nicht vorbei. Schneeregen. Er konnte eine Haltestelle im rappelvollen O-Bus fahren, aber das tat er nie. Auf der ganzen Straße wurden die Dekorationen abgenommen. Für immer, so schien es. Der Junge war endgültig schlechter Laune. Nicht einmal die gesparten vierzig Kopeken konnten ihn heute erfreuen. Die Schirmmütze mit den Buchstaben SCH auf der Kokarde rutschte ihm über die Augen. Sie war zu groß, die Mütze, sie hatten die passende Größe nicht gefunden. Großmutter hatte von innen Watte drangenäht, aber die Watte fiel stückchenweise ab. Der Junge ging mit der schweren Schultasche durch den Schneeregen. Er bog von der Straße ab in eine von einer deutschen Bombe zerstörte Toreinfahrt und lief noch eine Minute durch eine Gasse, bis das Ziegelgebäude der Schule auftauchte.
    Im Fenster des Direktors brannte grelles Licht. Der Direktor nächtigte oft in seinem Arbeitszimmer, er wollte nicht in die Wohnung auf der Marx-Engels-Straße gehen. In seiner Wohnung hatte bis zur Revolution der Schauspieler Katschalow gelebt. Der Direktor bewohnte ein feuchtes Zimmer von dreizehn Quadratmetern, ein früheres Badezimmer. Hier und da verliefen noch Rohre. Der Direktor war unzufrieden mit sich. Er, der sowjetische Offizier und Frontkämpfer, verschob die Entscheidung von einem Tag auf den andern. Deutsche erschossen hatte er, ohne zu zögern. Der Junge betrat die Garderobe. Gedränge. Der Junge hängte seinen Mantel an den Haken, sie schlugen ihm die Schirmmütze herunter, er stürzte sich darauf, um sie aufzuheben. Sie fingen an, Fußball damit zu spielen. Kickten sie in eine Ecke. Er bückte sich und bekam einen Tritt in den Hintern. Er drehte sich um. Der Drittklässler spuckte ihm gutmütig ins Gesicht. Er sagte nichts, wandte sich um, wischte sich das Gesicht ab, irgendjemand trat gegen seine schwere Schultasche, sie fiel ihm aus der Hand, ging auf, Schulbücher, Hefte, Federmäppchen flogen heraus. Er fing an, alles aufzuheben. Irgendjemand hatte seinen Stiefelabdruck auf einem Heft hinterlassen, und das Schreibheft hatte Eselsohren. Soja Nikolajewna konnte Schlamperei nicht ausstehen. Sie zeigte schlampige Hefte der ganzen Klasse und hielt sie mit zwei Fingern an einer Ecke wie eine tote Maus am Schwanz. Schließlich hatte sie den Ehrenburg zu Ende gelesen. Nichts Besonderes. Es ging um irgendwelche Künstler. Sie stritten miteinander. Es war langweilig. Als er die Hefte aufgesammelt hatte, waren schon alle weg. Er stand fassungslos da und wusste nicht, was er tun sollte. Wohin mit den Galoschen? Unter dem Kleiderhaken auf dem Fußboden stehen lassen? Aber würden sie die etwa verschonen? Der Junge sah bereits den brüllenden Schlund der Blockade-Großmutter. Die Schulglocke ertönte. Soja Nikolajewna konnte Schüler, die zu spät kamen, nicht ausstehen. Sie stellte sie in die Ecke und schickte sie dann zur stellvertretenden Direktorin, die den Spitznamen »Stockfisch« hatte. Die Wangen des Jungen glühten. Er öffnete die Schultasche, wollte die Galoschen hineinstecken, aber da war nicht genug Platz. Plötzlich hatte er eine Idee. Er steckte eine Galosche in die rechte Hosentasche, die andere in die linke, bei der linken ging es etwas schwer, das Taschentuch störte, er zog es heraus, stopfte es in die Brusttasche seines Hemds, die Galoschen gingen hinein, nur die Absätze guckten ein wenig heraus. Er zog die Enden seines Hemds über die Hosentaschen und den Gürtel mit den Buchstaben SCH fester zu, dann verließ er rasch die Garderobe.
    Der Direktor stand beim Eingang zum Treppenhaus. Der Direktor persönlich. An ihm vorbeizuschlüpfen war unmöglich. Das Gesicht des Direktors war Furcht erregend. Der Direktor erblickte den Jungen und ging ihm einen Schritt entgegen. Dem Direktor wurde schwindlig von den vielen Kindern. Er, der Frontkämpfer, der Ordensträger, erlebte seine Berufung an die Schule als schmerzlich. Er wollte höher hinaus. Besonders

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