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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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zuwider waren ihm die wohl behüteten kleinen Jungen, die nach Kinderseife rochen. Der Direktor wurde abgelenkt: Der ewig zu spät kommende Isja Moissejewitsch kam auf ihn zugeschossen. Der Direktor versperrte ihm den Weg. Der Direktor sagte: »Sie da, ähm … hören Sie mir auf, Ihren Ehrenburg zu verbreiten!« Der Literaturlehrer brauste auf: »Aber alle lesen ihn doch …!«
    »Alle! Hören Sie mir doch auf damit: alle!« Der Literaturlehrer wurde blass und zischte durch die Zähne: »Verräterin!« Der Direktor drückte einen Schlüsselbund in der Faust und sagte: »Sie sind hier drin, in meiner Hand!« Und er ging, mit den Schlüsseln klappernd. Der Junge schlüpfte zwischen den zornigen Männern hindurch. Er rannte hinauf in den ersten Stock, den ausgestorbenen Korridor entlang, drückte die Türklinke herunter und kniff die Augen zusammen. In der Klasse brannte grell und kalt das elektrische Licht. Soja Nikolajewna stand am Tisch und sprach laut und deutlich. Sie beendete den Satz und richtete ihren Blick auf den Jungen. Er stand an der Tür: kahl geschoren, schwarze Augen, brennende Ohren. Zerrupft. Schmutzige Schultasche. Sie betrachtete ihn eingehend. »Was hast du denn da in den Hosentaschen?«, fragte sie verwundert. Vierzig Paar Kinderaugen starrten den Jungen an. Der Junge schwieg. Er spürte, wie Wasser aus den nassen Galoschen tropfte, durch den Stoff der Hosentaschen, die braunen Strümpfe sickerte und wie die Beine unangenehm kalt wurden. »Ich frage dich: Was hast du da in den Hosentaschen?«, fragte die Lehrerin, jedes Wort scharf betonend. »Nichts«, stammelte der Junge. »Na, dann komm mal her.« Er trat auf sie zu, vor Scham gekrümmt. Soja Nikolajewna hob den Saum seines Hemds ein wenig an und zog eine schwarze Galosche mit rosa Innenleben hervor. Sie nahm die Galosche mit zwei Fingern, hob sie hoch, zeigte sie der Klasse und und sagte nur zwei Wörter:
    »Eine Galosche.«
    Die Klasse wieherte, kreischte, brüllte los. Die Kinder – viele von ihnen rachitisch, mit kränklichen Gesichtern – ließen sich auf die Schulbänke plumpsen, hielten sich die Bäuche. Es lachten: Adrianow, Baranow, Bekkenin, der sich später als Tatare entpuppte, und Berman, das schwach ausgeprägte Wunderkind. Dorofejew und Shuljow lagen sich in den Armen und lachten wie Herzen und Ogarjow, die pummelige Wassiljewa mit den Basedowaugen lachte ein verfrühtes tiefes Erwachsenenlachen, es prustete die herrliche Kira Kaplina, bei der als Erster in der Klasse der blutige Alltag der Fraulichkeit eintreten würde, es winselte die Naryschkina, das kleine Meerkätzchen. (Fünf Jahre später würde Isja sie fragen: Bist du eine von den Naryschkins? Wieso sagst du nichts? Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Aber sie würde nicht verstehen, was er meinte mit »eine von den«. Sie war einfach die Naryschkina aus der Jushinski-Gasse.) Es lachten: die Gorjainowa, die für zwei Jahre mit ihrem Mann dienstlich nach Kuba gehen würde, der zappelige Arzybaschew, später ein ziemlich bekannter Literat und Mitglied des Schriftstellerverbands, die Trunina, die die Schule mit einer Goldmedaille abschließen sollte, die Solotarjowa und die Gussewa, künftig Ärztin auf einer Station für epidemische Erkrankungen, auch die mit dreißig ergraute Gadowa, die Gitarre spielen lernte. Es lachte die Sokina mit den dünnen Beinchen, die früh an Blutvergiftung sterben wird, bereits gestorben ist die Njuschkina mit dem Lockenkopf, die in einen leeren Liftschacht stürzte, Glück hat dafür die rothaarige dumme Gans Trunina – ihr Mann ist ZK -Mitglied, allerdings beim Komsomol, Glück hat auch Nelli Petrosjan, die einen Ungarn heiratet und das ganze Leben Ungarisch sprechen wird – ägisch-mägisch – eine unverständliche Sprache! Es lachte der schwächliche Bogdanow, ihm wird zwei Jahre später Ilja Tretjakow – er lachte da hinten in der letzten Bank – mit einem mächtigen Tritt das Steißbein brechen, es lachte die Naschkatze Loss, die alte Petze, die Jakimenko stürzt sich im Suff aus dem Fenster, ist danach behindert, bringt Zwillinge zur Welt, die Judina lebt länger als alle anderen: An ihrem neunzigsten Geburtstag erscheint sie in einem knallbunten Badeanzug in der Kommunalka-Küche. Die schwer beeindruckten Mitbewohner reagieren mit tosendem Beifall. Nur Chochlow lachte nicht, weil er niemals lachte. Es lachten: der Mathematiker Sukatsch, der nach Workuta ziehen würde, der Mörder Kolja Maximow, er sollte einen

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