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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Taubenschlagbesitzer erstechen, vor Lachen schüttelten sich der Schwarzhändler Wertschenko, der schon in jungen Jahren vor dem Hotel »Peking« Ausländer um Kaugummi anbettelte, und Sascha Cheraskow. In das Gelächter fielen ein: Sajzew, der Brillenträger Schub und Stella Dikkens, die Rumänin aus antifaschistischer Familie. Der Fähnrich Schtschapow, der in einem Kolonialfeldzug verwundet wurde, der Karatekämpfer Tschemodanow und die Wagner, die busenlose Wagner, sie krähten, was das Zeug hielt. Die Baklashanowa, Muchanow und Klyschko purzelten vor Lachen in den Gang wie irgendwelches Fallobst. Mit lachendem Gesicht machte der Sohn von Alexej Maressjew, der noch vor Schuleintritt bei den Pionieren aufgenommen wurde, einen Spaziergang auf den Händen. Und auch Soja Nikolajewna wurde von Gelächter gepackt. Die Kinder steckten sie an. Soja Nikolajewna hielt es nicht mehr aus und brach in dünnes, silbriges Lachen aus. »Ha-ha-ha-ha-ha«, lachte Soja Nikolajewna, die sich nicht mehr beherrschen konnte, »ha-ha-ha-ha-ha.«
    Der Urheber des Gelächters, die Zielscheibe des allgemeinen Spotts stand neben ihrem Tisch mit nach außen gekehrten schmutzigen Hosentaschen. Aus seinen kohlrabenschwarzen Augen rannen heiße Tränen über das lange Gesicht, und plötzlich vernahm Soja Nikolajewna durch ihr unpädagogisches Lachen, durch das Lachen der Kinder hindurch, wie der Junge verzweifelt und selbstvergessen etwas flüsterte:
    »Lieber Gott«, flüsterte der Junge, »vergib ihnen, lieber Gott, vergib ihnen und sei ihnen gnädig! Sie sind unschuldig, gutmütig und gut, lieber Gott!«
    Soja Nikolajewna hörte auf zu lachen und sah, die Galoschen in der Hand haltend, den Jungen mit großen Augen an. Und da bemerkte sie, dass über dem Kopf dieses unordentlichen Erstklässlers, über diesem kahl geschorenen kleinen Kopf, fein wie eine Eiskruste, ein Heiligenschein schwebte.
    »Ich liebe sie, lieber Gott!«, flüsterte der Junge. »Ein Heiliger!«, sagte die Lehrerin erstarrend, und ihr Gesicht sah plötzlich schrecklich dumm aus.
    »Was geht hier vor?« Auf der Schwelle erschien der Direktor. »Ein Irrenhaus! Schluss damit!«
    Alles verstummte. Soja Nikolajewna stand da, die Kindergaloschen in der Hand, und sah mit verständnislosem Blick den Direktor an.
    »Sie sabotieren den Unterricht in dieser Schule!«, fuhr der Direktor sie an, die schrägen Stirnfransen schüttelnd. »Kommen Sie mit in den Korridor!«
    Ohne etwas zu begreifen, wie im Traum, ging Soja Nikolajewna, mit den Galoschen in der Hand, hinaus in den Korridor. Der Direktor machte die Tür zum Klassenzimmer zu – sofort begannen dort die verwaisten Kinder wieder zu lärmen.
    »Und was sind das nun wieder für Galoschen?«, fragte der Direktor mit brutalem Gesichtsausdruck.
    »Die sind von einem Jungen«, stammelte Soja Nikolajewna, »er ist, verstehen Sie«, sie riss die Augen weit auf, »er ist ein Heiliger …«
    Der Direktor nahm Soja Nikolajewna die kleinen Galoschen aus der Hand, legte sie auf seine breite Handfläche und betrachtete nachdenklich ihr rosa Innenleben.
    »Soja Nikolajewna!«, sagte er, wobei er ihr den scharfen Gestank aus seinem Männermund ins Gesicht blies. »So kann es wirklich nicht weitergehen. Ich habe ein Zimmer von dreizehn Quadratmetern. Direkt im Zentrum. Ziehen Sie zu mir. Werden Sie meine Frau.«
    Soja Nikolajewna tat einen schwachen Aufschrei und flog rücklings von der Feuerleiter hinunter.
    *
    Große Veränderungen waren im Gange. Wir siedelten nach Paris über. Vater wäre einverstanden gewesen, als erster Sekretär zu reisen, doch Molotow wurde wieder wütend, da er dies als ungerechtfertigte Degradierung betrachtete, und ordnete an, Vater in der Funktion eines Botschaftsrates an die sowjetische diplomatische Vertretung zu schicken. Stalin hatte man gerade erst im Mausoleum neben Lenin aufgebahrt, und Vater nahm mich mit einer speziellen Einladung mit dorthin; das einfache Volk war noch nicht zugelassen. Ich ging mit wie auf einen Vergnügungsausflug, ohne die geringste Ahnung, fröhlich hüpfend, doch nachdem ich in den marmornen Keller hinabgestiegen war, stürzte ich auf den Grund meiner kindlichen Ängste. Stalin und Lenin waren meine ersten Toten. Während aber Lenin sich still verhielt, versprühte Stalin einfach von Kopf bis Fuß den Tod. Er lag da als Neuling, schön und schrecklich, und später träumte ich noch lange von ihm, und sein Bild vermischte sich mit dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen vom

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