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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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traute seinen Ohren nicht. Über das Ergebnis erstattete er Molotow Bericht. Der wurde wütend:
    »Sie haben selbst eine schwache Vorstellungskraft und können Ihrem Gesprächspartner offensichtliche Dinge nicht plausibel machen!«
    Vater erhielt den Auftrag, noch einmal zu Ehrenburg zu gehen, und er gab sich alle Mühe, ihn zu überzeugen.
    »Wenn Sie den Artikel nicht drucken wollen, dann lassen Sie es eben bleiben, das ist Ihre Sache«, erklärte der angeblich sonst »einsichtige« Ehrenburg kategorisch.
    Vater schleppte sich niedergeschlagen zum »Hausherrn« zurück, wohl wissend, was ihn erwartete. Die traditionellen Rollen von Schriftsteller und Staatsmacht waren hier offensichtlich vertauscht.
    EHRENBURG Die Deutschen, die die Juden in Gaskammern umgebracht haben, sollten vernichtet werden. Sie haben alle Hitler unterstützt, machen wir sie fertig. Die Kammern sind da, wo ist das Problem?
    MOLOTOW Hören Sie auf mit Ihren jüdischen Rachegelüsten! Wozu wollen Sie mich drängen? Mein Frau ist Jüdin!
    EHRENBURG Ich will Vergeltung. Auge um Auge.
    MOLOTOW In Königsberg gibt es schon Vergeltung genug. Die Rote Armee fickt alle deutschen Frauen durch, egal, wie alt sie sind. Beruhigen Sie sich, Ihr Kopelew wird noch darüber schreiben.
    EHRENBURG Das ist kein Argument! Die Faschisten haben alle unsere Frauen durchgefickt.
    MOLOTOW Unsere Weiber haben es freiwillig getrieben, einschließlich der Komsomolzinnen, und dabei noch gekichert. Sie haben geglaubt, diese Nutten, dass die Deutschen für immer bleiben.
    EHRENBURG Interessant, wie viele Kinder wohl nach dem Krieg in Russland und Deutschland daraus hervorgehen? Millionen wahrscheinlich. Aber mit dieser Statistik wird sich niemand befassen.
    MOLOTOW Lenken Sie nicht ab mit solchem Kleinkram. Schreiben Sie den Artikel um. Wir brauchen nicht die Asche der Deutschen, sondern lebende Kämpfer für den Sozialismus. Die Deutschen lieben die Ordnung. In Reih und Glied werden sie von einem System ins andere überwechseln.
    EHRENBURG Sie werden alle in den Westen türmen.
    MOLOTOW Sie sind es, der in den Westen und nach Paris türmt.
    EHRENBURG Vertrauen Sie mir?
    MOLOTOW Wie kann man einer jüdischen Fresse vertrauen?
    EHRENBURG Meinen Sie Ihre Frau?
    MOLOTOW Hör mal zu, du Lump, was hat meine Frau damit zu tun? Wir brauchen Reparationen, deutsche Automobilfabriken! Und wir sollten uns einstweilen nicht mit den Amerikanern verfeinden. Sie unterstützen Ihre Idee mit den Gaskammern nicht!
    EHRENBURG Und was ist mit dem Kalten Krieg?
    MOLOTOW Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Aber heute haben Sie eine Aufgabe. Königsberg umzubenennen.
    EHRENBURG Molotowburg!
    MOLOTOW Schweig, du Menschenhasser!
    EHRENBURG Ich wusste nicht, dass Sie ein bourgeoiser Humanist sind!
    Im Grunde genommen war es auch so, von der Logik des Streitgesprächs her. Die Kühnheit Ehrenburgs, der Blutrache forderte, war gerechtfertigt durch das Einnehmen einer Position des Hasses, die von der Staatsmacht gern gesehen wurde. Auf diesem Feld konnte man sich sogar dem allmächtigen Ministerpräsidenten widersetzen. In Papas zukünftiger Praxis waren die Politiker der Volksdemokratien Osteuropas oftmals radikaler in ihrem Klassenhass als die sowjetischen Genossen. Dies wurde nicht begrüßt. Hier konnte man, wenn man wollte, Trotzkismus entdecken, doch das war immerhin zuverlässiger als Rechtsabweichung. Molotow konnte in diesem konkreten Fall mit den Worten Puschkins sagen, dass der einzige Europäer in Russland die Regierung sei. Vater jedoch empörte sich weniger über den Inhalt der Auseinandersetzung als vielmehr über die Unbotmäßigkeit des Mannes. Ein Schriftsteller (ohne Schulterstücke, sogar ohne Parteimitgliedschaft) durfte sich also anmaßend gegenüber einem Vertreter der obersten Staatsgewalt (meinem Vater) benehmen und dessen sich schon festigendes Selbstgefühl brutal zerstören. Ein solches Verhalten ist nicht zu tolerieren. Vater hatte fortan einen Pik auf Ehrenburg und mit ihm auf alle Schriftsteller, und das fürs ganze Leben. Vielleicht hat er deswegen nie mehr schöngeistige Literatur gelesen, da er den Geruch der Anmaßung auf jeder Seite jedes beliebigen Autors spürte? So kam es zum Bruch zwischen Vater und der Intelligenzija. Er »steckte« mir sogar, womit er seinerseits dem Selbstgefühl Ehrenburgs einen Schlag versetzt habe – dass dieser »schlecht Französisch sprach«. Als Ehrenburg starb und Galina Fjodorowna, die Freundin meiner Eltern, zu uns gelaufen

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