Der gute Stalin
die Deutschen gut ist, das soll gegen die Amerikaner schlecht sein? Unfreiwillig war ich zwischen Familie und Geschichte hin und her gerissen. Die Rolle eines neu gebackenen Pawlik Morosow, der seinen Vater nicht nur einer Achmadulina ausliefert, sondern auch einem mir unbekannten Thierry Valton, verlockte nicht. Ich überlegte, was für ein Typ dieser Thierry (ich habe einige dieser Professoren gesehen; sie riefen mich an, drängten mir ihre Freundschaft auf) sein mochte: Ein dröger Universitätsgelehrter mit billigem Pariser Snobismus, einer alten hässlichen Frau, einem verdreckten Renault oder ein kluger sympathischer Misanthrop wie mein Freund aus Nanterre, der zu Sowjetzeiten, als er in der französischen Botschaft arbeitete – wo wir uns kennen lernten –, für sowjetische Dissidenten illegal kofferweise Geld mitbrachte? Und Papa durfte französischen Kommunisten kein Geld bringen? – Wie dem auch sei, auf welche Weise erfuhr Vater die Adressen amerikanischer Agenten in Paris?
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Am 24 . Juni 1959 verließ Vater Frankreich nicht aus freiem Willen. Frankreich hatte ihn dazu gebracht, französisches Essen und Trinken zu lieben, und ihn dann ausgespuckt. Hatten die Franzosen ihn tatsächlich zur Persona non grata erklärt? Meine Eltern packten eiligst ihre Sachen. Zu allem Überdruss ließ sich Botschafter Winogradow die Gemeinheit einfallen, im letzten Moment einen hohen Parteifunktionär aus Moskau in ihrer Wohnung einzuquartieren, so dass sie sozusagen auf dem Dachboden hausen mussten. Dabei hatte Botschafter Winogradow vor kurzem, gerade mal vor einem Monat, im Mai, offiziell den Vorschlag nach Moskau geschickt, Papa zum zweiten Mann in der sowjetischen Botschaft zu machen – zum Gesandten. Das hätte Vater die Möglichkeit eröffnet, im Weiteren folgenden Schachzug zu machen: als Botschafter in die Schweiz oder nach Belgien zu gehen. Und nun plötzlich Moskau.
Der KGB -Resident in Paris mochte Vater nicht. Er merkte immer deutlicher, dass mit Papas Einstellung irgendetwas nicht stimmte. Er wusste nicht, wie er das erklären sollte. Weder Moskau noch sich selbst. Auf den ersten Blick schien mit Vater alles in Ordnung zu sein.
Im Grunde verachtete der Resident alle Diplomaten: Ihre Informationen waren oberflächlich und unzuverlässig, die meisten kamen nach Paris, um ein schickes Leben zu führen und Klamotten zu kaufen. Botschafter Winogradow hielt er für einen Angeber. Der Resident verachtete auch die »engen Nachbarn« von der sowjetischen Spionageabwehr, die ihn selbst heimlich beobachteten. Der Resident mochte die »Illegalen« im Untergrund, die ihm unterstellt waren und unter Lebensgefahr Mikrofone in Büros und Wohnungen französischer Minister installierten und missliebige Personen und Verräter liquidierten. Das war seine Sache. Doch der Resident wusste auch, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war, dass er sich gehen ließ: Er trank still vor sich hin und würde bald Alkoholiker sein. Es fiel ihm schwer, sich morgens zu rasieren. Schon zweimal hatte er seine Frau geschlagen, die den Diplomatengattinnen gratis Englischstunden gab und selbstgemachte Piroggen mit Fleischfüllung zum Unterricht mitbrachte. Er hatte schon einmal seine eigene Wohnungstür eingetreten, die seine Frau abgeschlossen hatte, damit er nicht trank. Der Referent wusste, dass die »engen Nachbarn« darüber Bescheid wussten.
Meinen Vater verachtete der Resident nicht. Er hielt ihn für einen aktiven und qualifizierten Mann, seine Berichte nach Moskau waren nützlich, klug, ja, man konnte sagen, glänzend. Alles richtig, aber der Resident vertraute seinem Instinkt. Es ging nicht einmal darum, wie Papa sich kleidete, bewegte, sprach – aber genau daran, wie er sich kleidete, bewegte und sprach, war etwas, das ihn auf der Hut sein ließ und in Anspannung versetzte. Papa stand nicht auf der Stelle, er entwickelte sich, wuchs wie ein Baum, aber an diesem Baum erschienen unverständliche Früchte. In Vaters Person argwöhnte der KGB -Resident eine dumpfe Gefahr für sich selbst als lebendiges Wesen. Hätte Winogradow Moskau nicht vorgeschlagen, Vater zum Gesandten zu machen, wäre vielleicht noch alles gut gegangen. Aber der Resident sollte dazu eine Beurteilung kundtun, für Vaters Aufstieg grünes Licht geben, und dies stimmte ihn sehr nachdenklich.
Jeder von uns wird von vielen verschiedenen Leuten nicht gemocht, ihr tierischer Instinkt wird durch jede unserer Bewegungen gereizt, aber das Wichtigste ist, ihnen keinen
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