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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Anlass zu bieten, ihr konkretes Verhältnis zu uns zu formulieren, nicht abhängig von ihnen zu werden, ihnen keine Möglichkeit zu eröffnen, uns mit geschärftem japanischem Schwert einen Hieb zu versetzen.
    Papa setzte sich selbst dem Schlag aus. Er wollte nach oben, sein Geruch sollte sich in der ganzen Botschaft ausbreiten. Alles wurde auf der Geruchsebene entschieden. In diesem dumpfen Konflikt zwischen dem namenlosen Residenten (Papa nannte ihn mir gegenüber nie, aus der patriotischen Furcht heraus, man könnte, wenn man an dieser Schnur zieht, gleich die ganze Kette russischer Spione in Europa hervorziehen, bis in die heutige Zeit, und Mama sagte zu mir, dass er wahrscheinlich einen falschen Namen getragen habe, und fügte hinzu, er sei »kein dummer Mann« gewesen) und meinem Vater bildete sich bereits das Paradigma meiner weiteren Beziehungen zu Menschen heraus. Papa war selbst Wegbereiter der Entfremdung dank seiner natürlichen, charmanten Art, erfolgreich zu sein – so etwas mögen Leute vom Schlage des KGB -Residenten nicht. Jener fuhr ein gutes französisches Auto (die französische Spionageabwehr machte die russischen Agenten mühelos anhand der Automarke aus; die Diplomaten fuhren schlechtere Wagen, und Residenten tarnten sich im Allgemeinen auch gar nicht besonders, denn ihre Auffälligkeit war für sie sogar ein Schutz), hatte eine geschwätzige Frau, die pathologische Angst gegenüber Jewgenija Alexandrowna hegte, Geld, nützliche Beziehungen in Moskau, aber er besaß nicht, was mein Vater besaß: die Fähigkeit eines schmetterlingshaft leichten Flugs durchs Leben. Papa gab meiner Existenz eine Aufgabe auf.
    Alles Weitere war vorherzusehen. Den Informationen des Residenten zufolge machten sich alle möglichen suspekten Personen an Vater heran, wie zum Beispiel Bonner, der Besitzer eines Tabakwarenladens – vom Stil her eine flaubertsche Gestalt –, und dessen Frau, der ein Modegeschäft am rechten Seine-Ufer gehörte, wohlhabende Leute, die nach Vaters Meinung nützlich waren für die UdSSR , denn sie reisten als Touristen mit dem Schiff nach Odessa (die sowjetischen Zöllner an der Grenze durchbohrten ihre mitgebrachten Apfelsinen mit Stricknadeln, um staatsfeindlicher Betätigung vorzubeugen oder vielleicht auch um die Ausländer daran zu hindern, die Apfelsinen an Land zu verkaufen) und erzählten allen, dass es ihnen dort gefallen habe. Die Familie Bonner war ihrerseits an Kultur interessiert (Mama fühlte sich davon angezogen); sie gingen zusammen mit meinen Eltern ins Theater, pflegten Meinungsaustausch mit ihnen, luden meine Eltern zu sich nach Hause ein.
    Mitten auf dem gepflasterten Hof der Botschaft sagte der Resident, nachdem er sich anerkennend über Vaters Effektivität geäußert hatte, ihm offen ins Gesicht:
    »Ich habe Ihre suspekten Kontakte nach Moskau gemeldet.«
    Vater erklärte mir, dass es zu dieser Zeit ein unausgesprochenes, aber klares Verbot gegeben habe, Kontakte nicht professioneller Art zu einfachen ausländischen Bürgern zu unterhalten. Und Mama und er hatten freundschaftliche Beziehungen zu den Bonners.
    Noch schlimmer war meiner Meinung nach, dass Vater und Mutter große französische Einflussagenten waren, denn sie brachten alle möglichen schönen Dinge mit nach Moskau, wie Möbel, Tafelsilber, Tischdecken, und diese Dinge verwirrten das Volk. Außerdem brachte Vater Markentennisbälle mit nach Moskau, die sehr viel besser waren als diejenigen, die ich im Geschäft »Dynamo« kaufte, sofern es überhaupt welche gab.
    Die ganze Angelegenheit war ziemlich verwickelt. Meine Eltern hatten enge Freunde, Lodik und Galotschka (Galina Fjodorowna), und ihre Tochter, Irotschka, war meine Freundin. Als die Erwachsenen einmal im Kino waren, stellte ich Irotschka in die Badewanne und drehte die Dusche auf. Sie wurde ganz durchnässt, denn sie hatte ihre Sachen anbehalten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und stellte sie an einen hohen Heizkörper am Fenster, und so stand sie da, still vor sich hin trocknend, bis ihre Eltern zurückkamen, die zuerst nicht begriffen, was passiert war, in ihrer Bestürzung mich des Sadismus und Erotismus verdächtigten (beides war möglicherweise latent vorhanden), aber dann, nachdem der Dampf abgelassen war, erleichtert lachten. Ein andermal beschloss Vater, sich mit Onkel Lodik zu beraten, der in der Gruppe des Residenten unter dem Dach der UNESCO arbeitete. Irgendetwas an Bonners Verhalten hatte Vater stutzig gemacht. Onkel Lodik war

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