Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
abseitsstanden und auf ihn warteten.
»Nehmt den Gefangenen und haltet Euch von den anderen fern. Wir gehen.«
84
Mitternacht war längst vorüber, und der Markusplatz lag in einen milchigen Nebel getaucht. Vollkommen unerwartet öffneten sich die Portale der Basilika weit. Uberto und Willalme gelang es gerade noch, sich unbemerkt seitlich des Baus zu verbergen.
Aus dem Innern drängten unzählige schwarz gekleidete Menschen. Alle trugen Masken. Schweigend liefen sie an der Fassade der Basilika vorbei und verschwanden rasch in der Dunkelheit, einige in den umliegenden Gassen, die anderen auf Gondeln, die am Kanal festgemacht hatten.
»Wer sind all diese Leute? Und wo ist Ignazio?«, flüsterte Uberto besorgt.
»Dort.« Willalme zeigte auf eine kleine Gruppe Männer, die auf die Anlegestelle zustrebte. Eine Gestalt mit einer roten Maske ging voraus, ihr folgten drei Schergen mit einem Mann in Ketten.
Uberto machte Anstalten, das Versteck zu verlassen. »Los, tun wir etwas, befreien wir ihn!«
»Nicht jetzt.« Der Franzose hielt ihn am Arm zurück. »Beim geringsten Anzeichen, dass etwas nicht stimmt, könnten etliche von denen, die sich gerade in den Gassen verlieren, zurückkehren und uns überwältigen. Wir müssen uns gedulden.«
Die Männer um Ignazio erreichten die Anlegestelle. Vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden, machten sich Uberto und Willalme an ihre Verfolgung. Ignazio wurde in ein kleines Boot gestoßen, dann gingen nacheinander die vier Männer an Bord. Nachdem sie die Taue gelöst hatten, verschwanden sie im Nebel, der über der Lagune lag.
Im gleichen Moment rannte Willalme zum Landungssteg und machte ein Boot los, das an einem morschen Holzpfahl festgemacht war.
»Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren«, sagte er und reichte Uberto ein Ruder.
Der Nebel verschluckte alles mit seinem milchigen Dunst. Einzig das Klatschen der Ruder durchbrach die Stille über den Wassern und verstärkte das Gefühl von Trostlosigkeit noch.
Uberto und Willalme ruderten die ganze Nacht hindurch und ließen dabei das Boot mit Ignazio und seinen Entführern keinen Moment aus den Augen. Zum Glück hatten sie mit der Laterne am Heck des anderen Schiffes einen sicheren Bezugspunkt, selbst wenn sie nicht sehr hell brannte. Uberto starrte beständig auf das schwache Licht und betete stumm, es möge nicht in der wabernden Dunkelheit verschwinden.
Auf einmal hielt das Licht an einer Landzunge an, auf der sich die graue Silhouette eines Turms erhob.
Während die Morgendämmerung sich langsam ihren Weg durch den Dunstschleier bahnte, legte Willalme mit dem Boot an einem nahe gelegenen, mit Schilf bedeckten Inselchen an. Aus diesem Versteck heraus beobachteten die beiden Gefährten, wie die Entführer ihr Boot verließen und Ignazio in den Turm schleppten. Es musste sich dabei um einen aufgegebenen Leuchtturm handeln, einen von denen, die die Schiffer durch die Nebelbänke leiten sollten.
Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass niemand sie sehen konnte, ruderten Willalme und Uberto auf den Turm zu. Sie versteckten ihr Boot unter Zweigen und schlichen sich lautlos heran.
85
Ignazio öffnete die Augen. Er lag in einem feuchten Raum auf kalten Tonfliesen. Die Wände waren salzverkrustet und mit Schimmel bedeckt. Durch ein Bogenfenster auf der Ostseite fiel spärliches Licht in den Raum. In der gegenüberliegenden Wand befand sich eine Holztür. Ignazio versuchte aufzustehen, um sie zu erreichen, doch er musste feststellen, dass er mit den Handgelenken an der Wand festgekettet war.
Auf einmal trat Viviën vor ihn. Seine Mönchskutte hatte er gegen ein langes schwarzes Gewand getauscht, während er sein Gesicht immer noch hinter der roten Maske verbarg.
Ignazio musterte ihn angewidert. »Ich hätte alles erwartet, nur nicht, dass du einer von denen würdest.«
»Ich musste diese Entscheidung treffen, um zu überleben«, erwiderte Viviën. »Sie hätten mich überall aufgespürt. Selbst wenn ich einen falschen Namen angenommen hätte, hätten sie mich irgendwann gefunden. Es gab nur einen Weg, meine Flucht zu beenden: Ich musste mich ihnen anschließen. Deshalb habe ich mich durch eine List unter die Erleuchteten gemischt …«
Ignazio wandte seinen Blick in die Mitte des Raumes, wo ein Glutbecken auf einem Gestell ruhte. Voller Verachtung deutete er darauf.
»Meinst du wirklich, du könntest mich damit zur Zusammenarbeit zwingen? Hast du vor, mich zu foltern?«
»Nur wenn es nötig sein
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