Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Schrift?«, hatte er vor wenigen Stunden den Händler gefragt.
»Nein«, hatte er zur Antwort erhalten.
»Worum handelt es sich dann?«, hatte er nachgefragt.
Ignazios Augen hatten sich daraufhin zu zwei schmalen Schlitzen verengt. »Um Dinge, die du nicht verstehen könntest.«
Uberto hatte diese Antwort enttäuscht, aber der Händler schien entschlossen, nicht mehr darüber sagen zu wollen.
Die Nacht in Venedig zog sich endlos hin für Uberto, der keinen Schlaf fand. Aber noch endloser erschien sie Conte Enrico Scalò.
22
Der Conte schreckte hoch. Er hätte lieber weitergeschlafen, doch ein unangenehmes Magenbrennen quälte ihn. Er musste vor dem Einschlafen etwas Unbekömmliches getrunken haben. Scalò war benommen, er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen und sich zu erinnern. Seine Glieder waren taub, als hätten sie lange in einer unbequemen Stellung verharrt.
Er versuchte vergeblich, seine Augen zu öffnen. Sie waren verbunden, und seine Hände waren an die Armlehnen eines Stuhls gefesselt. Doch am meisten erschrak er über seine Beine, die in einer Art Metallzylinder eingeklemmt waren, der sich auf Höhe der Knie verbreiterte. Diese beängstigende Vorrichtung fühlte sich kalt und undurchdringbar an und war um die Fersen gebogen, sodass sie die Füße fest umschloss.
Im Kopf des Conte entstand das Bild eines merkwürdigen Stiefels aus Eisen. Doch so angestrengt er überlegte, konnte er sich nicht vorstellen, welchem Zweck er dienen sollte.
Das Magenbrennen wich einer Übelkeit, die aus dem Gefühl der Ohnmacht entstand. Der angesehene Enrico Scalò, Avogador von Venedig, hatte Todesangst. Er nahm Kälte, Feuchtigkeit und den Geruch von Schimmel wahr. Ganz sicher befand er sich nicht in seinem Palast im Rialtoviertel, sondern wahrscheinlich in einem Verlies. Entferntes Plätschern drang an sein Ohr, er musste also in der Nähe des Wassers sein.
Schlagartig setzte seine Erinnerung ein: Man hatte ihn betäubt! Das war Altilia gewesen, diese verdammte Hure!
Wenn er sie jetzt in die Finger bekäme …
Plötzlich hörte er aus einem Nebenraum das Geräusch von Schritten, die immer näher kamen. Dann … quietschende Angeln, vor ihm wurde eine Tür geöffnet. Ein Schwall abgestandener Luft schlug ihm ins Gesicht.
»Altilia, bist du es?«, fragte er mit unsicherer Stimme.
Die einzelnen Silben hallten nach wie Tropfen in einer Kalksteinhöhle.
Aus der Dunkelheit hörte er eine metallische Stimme: »Altilia ist nicht hier.«
Scalò erschauerte, und in seiner Brust regte sich ein unangenehmes Stechen. »Wer seid Ihr?«, stammelte er.
Keine Antwort.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte der Conte und fuhr auf. »Ich bin ein Avogador von Venedig, bei Gott! Ihr könnt mich nicht derart behandeln!«
Die Worte wurden von der Dunkelheit verschluckt.
Plötzlich erklangen erneut Schritte, viele Schritte. Menschen traten ein, mindestens ein Dutzend. Wie groß mochte der Raum wohl sein? Den Geräuschen nach zu schließen, schienen die Versammelten auf einer Reihe Stühle Platz zu nehmen, fast so wie vor Gericht.
»Was geschieht hier?«, begehrte der Conte auf.
»Ihr steht vor dem Geheimtribunal der Heiligen Vehme«, erklärte dieselbe Stimme, die vor Kurzem gesprochen hatte: ein Mann mit slawischem Akzent. »Diese Versammlung wurde Euretwegen einberufen.«
»Die Heilige Vehme?«, wiederholte Scalò. Obwohl er ein Mitglied des Rates der Vierzig war, hatte er diesen Begriff erst wenige Male gehört. Er wusste, dass damit ein Bund deutschen Ursprungs bezeichnet wurde, der sich aus fanatischen Anhängern, den sogenannten »Freirichtern« oder »Erleuchteten«, zusammensetzte. Viel mehr war ihm nicht bekannt, und er hätte sich niemals träumen lassen, dass einige von ihnen sich auch in Venedig eingenistet hatten. »Lasst mich frei!«, knurrte er und versuchte, gebieterisch zu klingen. »Wisst Ihr nicht, wer ich bin? Meine Entführung wird nicht ungesühnt bleiben.«
»Heute Nacht seid Ihr allein, Conte. Und bar jeglicher Privilegien«, warnte ihn die Stimme. »Ihr seid hier ganz allein vor uns .«
Scalò knirschte mit den Zähnen. Seine Autorität wurde in Frage gestellt. »Was wollt Ihr von mir?«
»Was habt Ihr heute Morgen zu Ignazio da Toledo gesagt?«, fragte der Slawe. »Antwortet und Euch wird kein Leid geschehen.«
»Das geht Euch nichts an.« Der Conte zerrte an seinen Armfesseln. »Bei Gott, lasst mich frei. Es wird Euch zum Vorteil gereichen.«
Darauf erhielt er keine Antwort. Ohne
Weitere Kostenlose Bücher