Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
damit?«
»Das Geheimnis, welches im ›Uter Ventorum‹ gehütet wird.« Der Händler verstummte kurz, dann verfinsterte sich seine Miene. »Ein Geheimnis, nach dem nicht nur wir suchen: Der Mann in Schwarz, auf den wir in Venedig gestoßen sind, verfolgt dieselben Ziele. Vielleicht sogar noch leidenschaftlicher als wir.«
24
Die Strahlen der Morgensonne tauchten die Dächer Venedigs in bernsteinfarbenes Licht, doch im Haus von Henricus Teutonicus herrschte noch Dunkelheit, geschützt von den schweren Vorhängen vor den Fenstern. Slawnik wurde von einem alten, nicht sehr großen Diener empfangen, der ihn bat, im Arbeitszimmer zu warten. Der Herr des Hauses sei gerade erst aufgestanden, werde aber sofort herunterkommen, um ihn zu empfangen.
Das geräumige Arbeitszimmer wurde von der Flamme einer einzigen Kerze nur spärlich erhellt. Slawnik ging auf das Licht zu, wobei er die Hände tastend ausstreckte, um nicht gegen im Halbschatten verborgene Gegenstände zu stoßen. Ohne weiter nach einem bequemeren Sitzplatz zu suchen, ließ er sich schließlich auf der Kante eines runden Tisches in der Mitte des Raumes nieder. Er rieb sich die Augen, dann massierte er mit den Fingerspitzen kräftig seine Schläfen. Dabei dachte er über die Geschehnisse der vergangenen Stunden nach.
In der linken Hand hielt er die Binde, die er selbst Enrico Scalò von den Augen genommen hatte. Zufrieden betrachtete er sie wie eine Trophäe, dann wanderte sein Blick weiter zu seinem Zeigefinger, an dem ein goldener Ring glänzte. Vor etlichen Jahren hatte er ihn von seinem sterbenden Vater erhalten. Auf der Ringplatte war eine Enzianblüte eingeprägt, das Wappen eines böhmischen Adelshauses, das in Ungnade gefallen war.
Seit Jahrzehnten kämpfte Slawniks Geschlecht gegen den Untergang, und in dem Versuch, das Haus zu erhalten, hatte er sich in den Dienst eines sehr mächtigen Mannes gestellt. Sein Herr nahm eine der höchsten Stellungen innerhalb eines Geheimbundes ein, der im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verwurzelt war. Und als seinen Vasall hatte man ihn in derselben Bruderschaft aufgenommen und mit einem wichtigen Amt betraut. Außerdem hatte er gelernt, seinen Herrn mit seinem geheimen Namen Dominus anzusprechen.
Der Böhme hörte eine Tür knarren und sah, dass Henricus Teutonicus den Raum betreten hatte. Er beobachtete ihn dabei, wie er seine massige Gestalt durch das Zimmer bewegte und sich dann sehr ernst im schwachen Schein einer Kerze an den Tisch setzte. Der dicke Mann trug einen mit orientalischen Motiven bestickten Schlafrock, rötliche Locken bedeckten den verschwitzten Kopf. Graue, schmale Augen saßen über feisten Backen und einem wulstigen Hals. Slawnik hatte ihn schon immer als abstoßend empfunden, obwohl er ihm wertvolle Hilfe bei der Erfüllung seines Auftrags leistete.
Henricus stützte seine fleischigen Fäuste auf dem Tisch ab. Anstelle von Knöcheln hatte er kleine Einbuchtungen auf den Handrücken. Ehe er ein Wort herausbrachte, holte er mehrmals tief und keuchend Luft. Das Fett schien schwer auf seinen Lungen zu lasten.
»Hat er geredet?«, fragte er und starrte mit wachsender Unruhe auf die Augenbinde zwischen den Fingern Slawniks. »Habt Ihr erhalten, was Ihr wolltet?«
»Ja.« Slawnik gönnte ihm ein schneidendes Lächeln. »Endlich weiß ich, wo sich das ›Uter Ventorum‹ befindet.«
Von diesem Blick eingeschüchtert, wich Henricus zurück und hustete nervös. Obwohl er insgeheim eine leitende Stellung im Geheimbund anstrebte, hatte er kein Interesse, an solchen grausamen Verhören teilzunehmen.
»Was habt Ihr nun vor?«, erkundigte er sich.
»Ich werde Ignazio da Toledo folgen und das Buch finden. Dominus will es um jeden Preis besitzen.«
»So ist es recht, Dominus verdient unseren absoluten Gehorsam«, keuchte Henricus. Seine Stimme klang mehr wie ein Röcheln. »Wen werdet Ihr mit Euch nehmen?«
»Ich werde allein reisen. Ich weiß, wo ich im Notfall Hilfe finden kann. Sagt den anderen, dass sie hier in Venedig warten sollen.«
»So soll es geschehen.« Henricus hütete sich davor, dem Böhmen zu widersprechen. Obwohl der Mann an Rang und Titel unter ihm stand, genoss er beträchtliche Autorität und Handlungsfreiheit. Dominus hatte es so verfügt: Indem er willfährige Ritter schickte, hemmte er den Ehrgeiz der Anhänger, die einen höheren Titel besaßen. Aber mit der Zeit würden sich die Dinge schon ändern, sagte sich Henricus. Er war gerade dabei, entsprechend
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