Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
nie ernsthaft den Wunsch gehabt, sich den Dominikanern anzuschließen, Ketzer zu bekehren oder in Armut und Demut zu leben. Dieses Leben diente ihm nur zur Wahrung seiner geheimen Identität. Sein Sinn stand nach anderem: Er suchte das Wissen der Engel, die Macht des Verstandes, die Herrschaft über die himmlischen Kräfte. Er musste nur noch ein wenig Geduld beweisen, bald würde er die Maske fallen lassen und dieses Schattendasein aufgeben können.
Während er im Stillen schon seinen Triumph auskostete, ließ er den Blick über eine Botschaft gleiten, die Abt Rainerio da San Donnino, sein Werkzeug, ihm vor einem Monat aus Italien gesandt hatte. Es handelte sich um einen genauen Bericht darüber, was er über Ignazio da Toledo nach dessen Ankunft im Kloster Santa Maria del Mare herausgefunden hatte.
Der Inhalt des Briefes amüsierte Scipio Lazarus fast. Rainerio war tatsächlich so naiv, Ignazio des Mordes an Conte Enrico Scalò zu beschuldigen, er hielt ihn gar für einen Teufelsanbeter … Der Abt hatte ja keine Vorstellung, welche Mächte sich dort im Verborgenen bewegten und zu welchem Zweck. Er hatte nicht einmal herausgefunden, was das Geheimnis war, das Ignazio in seinem Kloster hinterlassen hatte …
Doch Scipio Lazarus hatte in dem Brief auch etwas Nützliches entdeckt: Rainerio beschrieb ihm wichtige Einzelheiten, die ihm bisher entgangen waren.
Plötzlich erschütterte ein Stoß den Raum so stark, dass die Wände bebten, und riss ihn aus seinen Gedanken. Man hörte das Geräusch von einstürzendem Mauerwerk.
Scipio Lazarus richtete sich auf und lauschte. Er hörte, wie Putzbrocken und Steine herunterbrachen, hörte Schreien und Fluchen, Schritte, die sich eilig entfernten. Er unterdrückte seine Anspannung und wartete ab, bis endlich wieder Ruhe einkehrte.
Das Geschoss eines Katapults musste ein Gebäude in der Nähe des Klosters getroffen haben. Dies geschah bereits zum zweiten Mal an diesem Tag. Die Angriffe der Kreuzritter mit ihrem Kriegsgerät häuften sich. Wenn es ihnen nicht gelänge, die Stadt einzunehmen, würden sie sie eben mit ihren Katapulten dem Erdboden gleichmachen.
Von der Tür des Skriptoriums ertönte eine zitternde Stimme: »Habt Ihr das gehört, Pater Scipio? Schon wieder hat ein Geschoss beinahe unsere Kirche getroffen!«
Scipio Lazarus wandte sich, von diesen Worten unbeeindruckt, dem Mann zu, der ihn angesprochen hatte. »Pater Claret, ich dachte, Ihr wärt mit den anderen Brüdern geflohen. Was wollt Ihr?«
Angesichts dieses kühlen Empfangs verzog Pater Claret verärgert das Gesicht. »Ein Mann verlangt nach Euch. Er sagt, er kenne Euch und sei hier, um eine Angelegenheit zu besprechen, die Euch beide anginge.«
»Wer ist es?«
»Er sagte, er heißt Graf Dodiko.«
»Graf Dodiko?«, wiederholte Scipio Lazarus leise. »Führt ihn herein«, befahl er. »Doch nehmt erst dies.« Er holte eine Pergamentrolle aus einer Schublade seines Pults. »Dieser Brief muss so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden. An einen Mann namens Henricus Teutonicus in Venedig. Unter dem Siegel der äußersten Verschwiegenheit … Und haltet ihn nicht dem Grafen Dodiko unter die Nase, wenn Ihr ihm auf dem Flur begegnet.«
Pater Claret nickte mehrmals, noch immer am ganzen Leib zitternd. Dann verbarg er die Schriftrolle unter seinem Skapulier und entfernte sich mit gesenktem Kopf.
Kurz darauf betrat ein hochgewachsener Mann in einem weißen Umhang den Raum. Er hatte lange schwarze Haare, sein bartloses Gesicht wies regelmäßige Züge auf, der Blick seiner Augen war durchdringend. Über seiner Rüstung trug er einen grünen, mit Silberbeschlag geschmückten Waffenrock. Er verneigte sich knapp und setzte sich dem Dominikaner gegenüber.
»Verzeiht, Graf, wenn ich Euch warten ließ«, begann Scipio Lazarus, »aber wir leben in unsicheren Zeiten. Wir Predigermönche sind hier in der Stadt voller Ketzer nicht wohlgelitten. Die meisten meiner Brüder sind schon geflohen.«
»Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, verehrter Pater«, erwiderte der Mann, der einen sächsischen Akzent hatte, und strich sich die Haare zurück. »In Zeiten wie diesen muss man vorsichtig sein. Andererseits weiß ich nicht, wie lange die Kreuzritter die Belagerung noch fortführen können. Die Verteidigungsmauern von Toulouse stehen fest … Ich frage mich eher, wie ein demütiger Mönch wie Ihr es so lange an einem solchen Ort aushalten kann. Fürchtet Ihr nicht, man könnte Euch als Geisel festhalten?«
Scipio
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