Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
andere. »Wir sollen den Jungen entführen und alle anderen töten!«
»Keiner hat uns gesehen. Es ist nicht nötig, Blut zu vergießen«, entgegnete Slawnik, eilte weiter zu den Pferden und machte damit deutlich, dass die Angelegenheit für ihn erledigt war. Er wollte nicht mehr über die Sache reden und wünschte sich weit weg.
Der Hinkende sah ihn verwirrt an. »Aber die Befehle …«
»Für heute habe ich schon mehr als genug Schändlichkeiten begangen.« Slawnik schüttelte zornerfüllt den Sack. »Welche Ehre brächte es mir ein, eine Bauernfamilie abzuschlachten?«
»Das ist Befehlsverweigerung! Diese Menschen …«
»Diese Menschen werden leben.« Slawnik legte die Hand an den Griff seines Schwertes. »Sie werden leben, weil sie sich keines Verbrechens schuldig gemacht haben. Jetzt verschwinden wir von hier, oder ich erschlage dich, so wahr mir Gott helfe.«
Eingeschüchtert senkte der Hinkende den Blick und folgte dem Böhmen ohne weitere Widerworte.
71
In León saß Graf Dodiko gegenüber der Basilica San Isidoro auf der Veranda des Gasthauses La Medialuna y la Cruz und wartete. Geschützt vor der nachmittäglichen Hitze, musterte er die zahllosen Menschen, die auf der staubigen Straße an ihm vorüberzogen, eine Prozession von Hüten, Kapuzen und Turbanen in leuchtenden Farben. Er ahnte, dass von einem Moment zum anderen aus dieser Menge das Narbengesicht von Scipio Lazarus auftauchen konnte. Der Dominikanermönch musste inzwischen ganz in der Nähe sein. Seit einigen Tagen wurde Graf Dodiko das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Doch weit mehr ärgerte ihn, dass er sich wie eine Spielfigur in einer undurchschaubaren Schachpartie vorkam, als ob ihn jemand aus unerfindlichem Grund auf Ignazio und Viviën stoßen wollte. Diesen Verdacht wurde er genauso wenig los wie die Überzeugung, dass einzig Scipio Lazarus hinter einer solchen Intrige stecken konnte.
Ungeduldig sah er wieder zur Straße. Der Händler von Toledo hatte sich noch nicht blicken lassen, und Dodiko war es leid zu warten. Noch dazu, wo ihm die Hitze dieses Landes schwer zu schaffen machte. Wenn Ignazio nicht bis zum nächsten Morgen einträfe, würde er allein nach Compostela aufbrechen. Dort würde wenigstens eine frische Brise vom Meer diese verfluchte Hitze mildern, dachte er, während er aufstand.
Im gleichen Moment beobachtete er, wie zwei Männer von einem Karren abstiegen. Einer der beiden blieb bei den Pferden, der andere nahm den Strohhut vom Kopf, der ihn vor der Sonne schützte, und kam eilig auf ihn zu. Es war Ignazio da Toledo.
Dodiko stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er wartete, bis der Händler zu ihm auf die Veranda gekommen war, dann rief er aus: »Meister Ignazio, letzten Endes vertraut Ihr mir doch!«
»Habt Ihr etwa daran gezweifelt?« Ignazio klopfte den Straßenstaub von seinem Hut. »Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich Euch doch mein Wort gegeben.«
»Und der Junge? Wo ist Uberto?«, fragte der Graf, als er bemerkte, dass Willalme allein auf sie zukam.
»Wir haben ihn in einem Nonnenkloster zurückgelassen«, erwiderte Ignazio. »Er ist zu schwach, das hattet Ihr ja bemerkt. Die Reise hat ihn erschöpft.«
Es war schon Nacht, als Pablo zurückkehrte. Er stützte sich am Türrahmen ab, um wieder zu Atem zu kommen, und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Bevor er das Haus betrat, überlegte er, mit welchen Worten er seiner Herrin die schlimmen Neuigkeiten überbringen sollte.
Drinnen stand Sibilla am Fenster des Wohnraumes und hielt im Schutz des Hauses Ausschau, während ihre Finger nervös mit einer Spitze ihres Ärmels spielten. Nachdem sie Ubertos Verschwinden bemerkt hatte, hatte sie den Bediensteten befohlen, das Grundstück und alle umliegenden Ländereien abzusuchen. Und jetzt, während sich die Dunkelheit des Landes bemächtigte, wartete sie bang und machte sich Vorwürfe, wie sträflich dumm sie gewesen war, den Jungen sich selbst zu überlassen.
Pablo betrat den Raum und verbeugte sich. Er war es nicht gewohnt, sich so unterwürfig zu betragen, da er in diesem Haus wie ein Sohn groß geworden war. Aber diesmal hielt er die Augen gesenkt und zögerte, etwas zu sagen.
»Sprich«, befahl ihm Sibilla. »Habt ihr ihn gefunden?«
»Nein, meine Herrin. Er ist verschwunden«, erwiderte der Diener und zuckte hilflos mit den Schultern. »Keiner weiß, was aus ihm geworden ist …«
Sibilla schlug die Hände vors Gesicht. »Geh!«, rief sie aus. »Lass mich allein!«
Pablo
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